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Verunsicherung als Gelegenheit

Editorial der Ausgabe Mai 2020

Verehrte Leserinnen und Leser,

die Corona-Pandemie ist in unserem Alltag angekommen und neue Begriffe finden Eingang in unseren Sprachgebrauch. Die Virologen messen die Ausmaße der Verbreitung in „Reproduktionszahlen“, der konsequente „Lockdown“ der Regierungen in Bund und Ländern und die Disziplin der Menschen hat unser Gesundheitssystem bisher noch nicht überfordert. Die weitgehende Abschaltung des öffentlichen Lebens ist schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht über längere Zeit durchzuhalten, so dass es sukzessive wieder zu Lockerungen kommen muss. Die Bundeskanzlerin schuf den Begriff „Öffnungsdiskussionsorgien“ und warnte damit vor den Risiken eines zweiten „Shutdown“ angesichts des zerbrechlichen Zwischenerfolges. Auch der Begriff „Systemrelevanz“ war bis vor wenigen Wochen weitgehend dem Fachvokabular vorbehalten, bis im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie die besondere Bedeutung bestimmter Berufsgruppen, insbesondere im Gesundheitswesen, in unser Bewusstsein rückte. Heiko Arnd und Kristof Brockmann zeigen am Beispiel des PP Mainz, wie sich bei veränderter Einsatzlage die systemrelevante Polizei organisatorisch und in den Dienstabläufen anpassen muss.

Nicht nur national, sondern auch weltweit hat die Corona-Krise sicherheitspolitische Folgen, wie Dr. Stefan Goertz in seiner Analyse feststellt. Sehr schnell instrumentalisierten Links- und Rechtsextremisten, in erschreckender Übereinstimmung untereinander und gemeinsam mit Verschwörungstheoretikern, die mit der Pandemie verbundenen Ängste für ihre Zwecke und erreichen zunehmend auch Menschen über die Ränder hinaus. Die Verunsicherung wird als Gelegenheit genutzt, wie Dr. Daniel Köhler feststellt. Er beschreibt eindrucksvoll die Rezeption der Corona-Pandemie in rechtsextremistischen und dschihadistischen Milieus: Nutzung zu Werbungs-, Rekrutierungs- und Ideologiezwecken bis hin zu Corona-spezifischen Anschlagsszenarien. Dass auch Allgemeinkriminellen die Verunsicherung willkommen ist, zeigen Beispiele wie der modifizierte Enkeltrick, die dubiosen Geschäfte mit Schutzausstattung oder das massenhafte Abgreifen staatlicher Unterstützung durch Nichtberechtigte. Das Internet bekommt besonders in Krisenzeiten eine immer größere Bedeutung, nicht nur für Straftäter. Ohne dessen Möglichkeiten der Kommunikation wären auch Arbeiten im Homeoffice kaum möglich, ebenso die auf direkten Kontakt ausgelegte Präventionsarbeit. Prof. Dr. Melanie Wegel und Günther Bubenitschek zeigen auf, wie das Internet als Medium für Prävention genutzt werden kann.

Den rechtsterroristischen Einzeltätern widmet sich Dr. Florian Hartleb, der vergleichend deren Manifeste analysiert. Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl beschreibt patriarchalische Familienstrukturen als Wurzeln von Parallelgesellschaften und identifiziert Erziehung und Ehrempfinden als Problem für die Sicherheitsbehörden. Christoph Frings und Prof. Dr. Stefan Kersting präsentieren Ergebnisse ihres Forschungsprojekts zur Validität von Wahllichtbildvorlagen und Dr. Dr. Fabian Techmann und Marie-Christin Falker fassen die Risiken der Gesichtstechnologie und deren rechtlichen Rahmen zusammen. Lukas Burkhardt beschreibt die Nutzungsmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz in der Strafverfolgung bei der Bewältigung von Massen-Mediendaten.

Lassen wir uns nicht verunsichern, sondern setzen wir solidarisch den Weg der Vernunft und Ausgewogenheit weiter fort, auch wenn es schwer werden wird.

Ihr
Bernd Fuchs
Chefredakteur


Verlag C.F. Müller

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