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Feindbild und Freiwild Polizei

Editorial der Ausgabe Februar 2020

Verehrte Leserinnen und Leser,

die Art und die Motive gewalttätiger Übergriffe auf Polizeibeamte sind heterogen und hängen von der Tatsituation und der Täterpersönlichkeit ab. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Mehrzahl der Übergriffe für Polizei (und Rettungskräfte) nicht absehbar waren. Dies gilt allerdings nicht für Einsätze bei Demonstrationen und Massenveranstaltungen, bei denen fast 90 Prozent der eingesetzten Polizeibeamten mit Gewalt rechnen. Allein die Ereignisse der letzten Wochen im Leipziger Stadtteil Connewitz zeigen, wieviel Verachtung der Polizei aus gewissen Kreisen entgegenschlägt. Ihr wird schlichtweg das Menschsein abgesprochen, und die Gewalttäter erfahren Unterstützung bis hin zu einer „klammheimlichen Freude“ mit Parallelen in die 1970er Jahre. Aber auch in anderen extremistischen Bereichen sowie bei kriminellen Clans, Rockern oder OK-Gruppierungen gehören Polizeibeamte zum Feindbild und erklärtem Freiwild. Prof. Dr. Britta Bannenberg und Ralf Schmidt weisen in ihrer Analyse auf die überlebenswichtig gewordenen Kenntnisse über Denkstrukturen und Verhaltensmuster brutaler Gewalttäter hin und plädieren für ein konsequentes Trainieren zum Erkennen gewaltanzeigender Gefahrensignale.

Die Bezeichnung „Einzeltäter“ wird bei Fällen von Rechtsterrorismus immer wieder kritisiert, würden dadurch doch die Kontexte als wichtige Ursachen ignoriert. Dabei meint „Einzeltäter“ nur, dass es sich um einen einzelnen Täter handelt. Die Frage nach den Hintergründen und Motiven sei davon nicht berührt, wie Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber in seiner Analyse aktueller Fälle verdeutlicht. Andreas Wißner beschäftigt sich mit sexuellen Devianzen und geht der Frage nach inwiefern deren Auslebung strafrechtliche Relevanz hat. Anhand eines aktuellen Falles beschreibt er den schmalen Grat zwischen Anklage wegen Mordes und Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Der Missbrauch von Flüchtlingen als Handlanger krimineller Clans ist Gegenstand der Ausführungen von Hülya Duran. Das spezielle Phänomen des Bitcoin-Mining mittels Botnets und Drive-by analysieren Christian H. W. Trentmann und Laura Wilms strafrechtlich und stellen Überlegungen zum „digitalen Hausfriedensbruch“ an. Sehr informativ und spannend waren die Vorträge im Rahmen des Symposiums Cybercrime an der Hochschule der Polizei in Rheinland-Pfalz, die Martin Hoch zusammenfasst.

Wahllichtbildvorlagen zählen nach wie vor zu den kriminalistischen Standardmaßnahmen, denen im Einzelfall ein hoher Beweiswert zukommen kann. Christoph Frings und Prof. Dr. Stefan Kersting befassen sich mit den kriminaltaktischen und rechtlichen Grundlagen. In einem zweiten Teil, der in Kürze erscheint, folgen das Design und zentrale Ergebnisse eines Forschungsberichts. Der EU-Politikzyklus zur Bekämpfung der organisierten und schweren Kriminalität ist Thema des Aufsatzes von Gordon Schröder und Dr. Joel Graf diskutiert aus Sicht der Schweiz die Herausforderungen und Chancen wissenschaftlicher und praxisbezogener Verbundprojekte anhand von Förderungsmöglichkeiten des europäischen Rahmenprogramms „Horizon 2020“. Die sehr praxisorientierten Beschreibungen der Deliktsphänomene „Falsche Polizeibeamte-Callcenterbetrug“ von Beate Kowalski und „Sprengung von Geldausgabeautomaten“ von Steffen Göbel runden diese Ausgabe der Kriminalistik ab.

Ihr
Bernd Fuchs
Chefredakteur

 


Verlag C.F. Müller

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