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Bunte Vielfalt: Organisierte (Clan-)Kriminalität

Editorial der Ausgabe April 2021

Verehrte Leserinnen und Leser,

lange galt Deutschland nur als Ruhe- und Rückzugsraum der Organisierten Kriminalität, die ebenso lange zumindest in der öffentlichen Diskussion auf italienische Mafia-Strukturen beschränkt blieb. Nach langer und schwerer Geburt einigte man sich erst 1990 auf eine Definition und gemeinsame Richtlinien zur Verfolgung. Deren konkrete Umsetzung in den Bundesländern zog sich teilweise weiter über Jahre hin. Ein entsprechender Tatbestand findet sich im deutschen Strafrecht nicht, Ermittlungsverfahren, Anklage, Verhandlungen und Urteile können nur anhand von Einzeldelikten erfolgen. Speziell italienische Behörden loben zwar regelmäßig die Zusammenarbeit mit ihren deutschen Kollegen, wissen aber auch um das weitgehend „stumpfe Schwert“ im deutschen Recht, wenn es um wirksame Ansätze wie Gewinnabschöpfung geht. Geldwäsche sollte die Achillesferse organisierter Strukturen sein, davon sind wir leider weit entfernt. Wie weit, zeigte die ARD am 22. Februar in einer sehenswerten Dokumentation über die Mafia-Kolonie Ostdeutschland. Sofort nach der Wiedervereinigung hatte die ´Ndrangheta eine Strategie entwickelt und schnell umgesetzt. An konkreten Warnhinweisen aus Italien fehlte es nicht, leider fanden sie kaum Beachtung. Die Geschäfte der OK funktionieren am besten lautlos und verleiten zu Sorglosigkeit bei den politisch Verantwortlichen. Ungewünscht in den öffentlichen Fokus und auch der Ermittler gerieten die mafiösen Strukturen nach dem Massaker von Duisburg am 15. August 2007. Über allem steht die „Familie“ oder der „Clan“. Carsten Wendt beschreibt die ganze Bandbreite Organisierter (Clan-)Kriminalität einschließlich der arabischen Clans, die mit besonders dreisten und spektakulären Gewalttaten auch öffentlich zeigen, was sie von unserem Staatsund Rechtssystem halten (Teil 2 mit möglichen Bekämpfungsansätzen folgt in Heft 5/21). Märkte, auch kriminelle, stehen in einem permanenten Verdrängungswettbewerb. Es entstehen „neue“ Clans, wie Hülya Duran an Beispielen von Gruppierungen aus Nigeria, Syrien und Irak aufzeigt. Unseren Schwerpunkt in diesem Heft runden Prof. Dr. Britta Bannenberg und Ralf Schmidt über tschetschenische Clanstrukturen ab, die über ein gewaltbereites, aber auch kriegserfahrenes und islamistisches Täterpotential verfügen.

Die nicht enden wollende Corona-Pandemie wirft auch ständig neue Rechtsfragen auf. So wurde bereits im Zusammenhang mit der Immunschwäche AIDS die Frage der einvernehmlichen Ansteckung mit Krankheiten vielfach geprüft. Andres Wißner ordnet neue oder alte Phänomene wie „Bugchasing/Pozzen“, Corona- und Massenpartys in den aktuellen Kontext ein. Wie sehr sich die Pandemie auf die polizeiliche Einsatztaktik auswirkt und zu einem Paradigmenwechsel beim Schutz von Versammlungen führt, zeigen Prof. Sandra Schmidt und Marleen Röttger auf.

Die gesetzlichen Neuregelungen vom Dezember 2019 über das Recht der notwendigen Verteidigung und zur Stärkung der Verfahrensrechte im Jugendstrafverfahren haben zahlreiche Änderungen des Rechts der Pflichtverteidigung nach sich gezogen. Die Auswirkungen auf die polizeiliche Strafverfolgungspraxis sind Gegenstand des Aufsatzes von Prof. Dr. Christian Laustetter und Lea Voigt. Das Thema Thermografie (siehe auch Kriminalistik 12/2020, S. 752-757) wird von Prof. Christian Friedrich Matzdorf und Markus Reußener fortgesetzt. Sie beschreiben die Einsatzmöglichkeiten und Potentiale mobiler Thermografiekameras.

Ihr
Bernd Fuchs
Chefredakteur


Verlag C.F. Müller

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