Mai 2021
Fachartikel
Alterskriminalität
Alterskriminalität: Ein von der Polizei vernachlässigtes Phänomen?
Von Dr. Frank-Holger Acker
Organisierte Kriminalität
Bekämpfung der Organisierten (Clan-) Kriminalität
Teil 2: Wie kann man Clankriminalität erfolgreich bekämpfen?
Von Carsten Wendt
Kriminalprävention
Umgang mit transnationalen Konflikten
Polizeiliche Präventionsarbeit in der kommunalen Kriminalprävention in Hessen zu türkischen Nationalismen
Von Erdogan Karakaya
Anmerkungen und Literatur (PDF-Download)
Todesermittlungen
Kohlenmonoxidvergiftung – der leise Tod
Von Ralf Schmitt und Andreas Mayer
Vernehmung
Das interaktive Vernehmungstraining (invetra)
Ein Training zum Erlernen eines psychologisch angemessenen Vernehmungsvorgehens?
Von Sandra Reinhold, Dr. Dahlnym L. Yoon und Prof. Dr. Lennart May
Polizeiliche Einsätze
PR-EV: Eine Planungs- und Reflexionsstruktur für das Gewaltreduzierende Einsatzmodell
Von Prof. Dr. mult. Mario S. Staller, Prof. Dr. Swen Körner und Benjamin Zaiser
Waffenrecht
Pfeilabschussgeräte, Harpunengeräte & Co.
Weiterer Reformbedarf im Waffenrecht
Von Prof. Dr. Michael Soiné und Joseph Holte
Kriminalistik-Schweiz
Zulässigkeit und Grenzen von „staatlichem Hacking“ in der Schweiz
Von Prof. Dr. Damian K. Graf
Kriminalistik-Campus
Kriminalstrategien gegen das gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern
Untersuchung europäischer und nationaler Instrumente gegen die Scheineheschließung als Modus Operandi moderner Schleusernetzwerke
Von Thorsten Kleinschmidt
Bekämpfung der offenen Drogenszene in der Hansestadt Lübeck
Möglichkeiten und Grenzen der Lübecker Sicherheitspartnerschaft zur dauerhaften Auflösung der offenen Drogenszene
Von Andreas Kruse
Recht aktuell
Mutmaßliche Einwilligung beim Verabreichen von Schmerzmitteln durch einen Nichtarzt
Strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung („Trulla“)
Literatur
Neuauflage eines Klassikers
Walder, Hansjakob, Gundlach, Straub: Kriminalistisches Denken
Lesenswerte kriminalistische Rundreise
Artkämper, Gundlach, Straub (Hrsg.): Kriminalistik – ein aktueller Themenüberblick
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Fachartikel
Alterskriminalität: Ein von der Polizei vernachlässigtes Phänomen?
Von Frank-Holger Acker
Das Thema Alterskriminalität hat bisher in Kriminologie und polizeilicher Praxis nur wenig Beachtung gefunden. Bereits vor über einem halben Jahrhundert nahm Clemens Amelunxen diesen Standpunkt in seinem Werk zum Thema Alterskriminalität ein und wird seitdem in Arbeiten zur Kriminalität älterer Menschen immer wieder in Erinnerung gerufen. Vor zehn Jahren gab Almuth Schützel in der Kriminalistik 7/2011 einen Überblick zu Ursachen und Auswirkungen der Kriminalität älterer Menschen und diskutierte einen möglichen Handlungsbedarf. Insbesondere die demographische Entwicklung geböte ihrer Einschätzung nach eine verstärkte Auseinandersetzung mit über 60-jährigen Täterinnen und Tätern. Der vorliegende Artikel soll überprüfen, was sich seitdem (nicht) getan hat.
Bekämpfung der Organisierten (Clan-)Kriminalität
Teil 2: Wie kann man Clankriminalität erfolgreich bekämpfen?
Von Carsten Wendt
Im Teil 1 des Beitrages (Kriminalistik 4/21, S. 195-203) wurden die Charakteristika und die kriminalpolizeiliche Relevanz der arabisch-sprachigen und der `Ndrangheta Clans dargestellt. Im Teil 2 folgt nun zunächst die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen beiden Clanstrukturen. Darauf aufbauend wird auf die in Deutschland bestehenden Bekämpfungsansätze eingegangen, um abschließend einen Vorschlag für eine Bekämpfungsorganisation und deren optimaler personellen Ausstattung zu machen.
Umgang mit transnationalen Konflikten
Polizeiliche Präventionsarbeit in der kommunalen Kriminalprävention in Hessen zu türkischen Nationalismen
Von Erdogan Karakaya
Türkeistämmige Bürger bilden weiterhin die größte Gruppe mit Migrationshintergrund in Deutschland. Die Heterogenität türkeistämmiger Menschen vergegenwärtigt sich unter anderem in den sehr unterschiedlichen politischen Weltbildern. Der vorliegende Beitrag verdeutlicht anhand eines Fallbeispiels, inwiefern in der kommunalen Kriminalprävention transnationale Konflikte am Beispiel türkischer Nationalismen (durch die Polizei) angegangen werden können.
Anmerkungen und Literatur (PDF-Download)
Kohlenmonoxidvergiftung – der leise Tod
Von Ralf Schmitt und Andreas Mayer
Bei der Bearbeitung von nicht natürlichen Todesfällen durch Staatsanwaltschaft und Polizei ergeben sich immer wieder Besonderheiten im Zuge der Ermittlungen. Bisweilen gestaltet sich die Suche nach einer Ursache jedoch diffiziler als zunächst angenommen. So ereignete sich im August 2020 im Rhein-Neckar-Kreis in Baden-Württemberg ein Fall, der zunächst einige Fragen aufwarf. Eine 19 Jahre alte Frau verstarb im Badezimmer der elterlichen Wohnung an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Auch wenn die unmittelbare Todesursache relativ schnell geklärt werden konnte, zogen sich die anschließenden Ermittlungen über mehrere Wochen und Monate hin, bis das plötzliche Ereignis in seinen Zusammenhängen geklärt werden konnte und die Beurteilung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit ermöglichte.
Das interaktive Vernehmungstraining (invetra)
Ein Training zum Erlernen eines psychologisch angemessenen Vernehmungsvorgehens?
Von Sandra Reinhold, Dahlnym Yoon und Lennart May
Die in Vernehmungen gewonnenen Informationen sind oftmals zentraler Bestandteil von Ermittlungen. Allgemein führen offene Fragen, offene und themenbezogene Aufforderungen sowie die Verwendung von Gesprächsrichtlinien zu Aussagen mit einem höheren Anteil an richtigen Informationen von Befragten als spezifische oder suggestive Fragen und Aufforderungen. Dieser Artikel beleuchtet, inwiefern diese grundlegenden polizeilichen und psychologischen Erkenntnisse in einem interaktiven Vernehmungstraining (kurz invetra1) von Polizistinnen und Polizisten erlernt werden können. Eine quasi-experimentelle Studie (N = 27) zeigte, dass die Teilnehmenden durch invetra mehr effektive Äußerungen und weniger potentiell für das Vernehmungsziel schädliche Formulierungen in Vernehmungsübungen verwendeten.
PR-EV: Eine Planungs- und Reflexionsstruktur für das Gewaltreduzierende Einsatzmodell
Von Mario S. Staller, Swen Körner und Benjamin Zaiser
Die Komplexität und Dynamik von Einsatzsituationen nährt den Bedarf an systematischen Strukturen zur Planung und Reflexion des Einsatzverhaltens von Einsatzkräften. Basierend auf dem Gewaltreduzierenden Einsatzmodell legen wir im vorliegenden Beitrag eine Planungs- und Reflexionsstruktur vor, die Beamten im Streifendienst eine systematische Vor- und Nachbereitung des Einsatzes ermöglicht. Neben der Optimierung des Einsatzverhaltens trägt die vorliegende Struktur im Rahmen eines learning on the job zur Entwicklung der Expertise als polizeiliche Einsatzkraft bei.
Pfeilabschussgeräte, Harpunengeräte & Co.
Weiterer Reformbedarf im Waffenrecht
Von Michael Soiné und Joseph Holte
Die Fortsetzung des Beitrags aus Kriminalistik 7/2020, S. 469–471, analysiert die Rechtslage nach Inkrafttreten des Dritten Waffenrechtsänderungsgesetzes (3. WaffRÄndG). Nach Auffassung der Verfasser sind weitere Regelungen zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele geboten.
Zulässigkeit und Grenzen von „staatlichem Hacking“ in der Schweiz
Von Damian K. Graf
Die Begriffe „government“ bzw. „nation-state hacking“ sind hauptsächlich negativ konnotiert, da sie vorab mit durch staatsnahe Hackergruppen ausgeführten Cyberattacken (namentlich russischen oder nordkoreanischen Ursprungs) oder undurchsichtigen Aktivitäten US-amerikanischer Geheimdienste assoziiert werden. Doch auch die (legale) Strafverfolgung verlagert sich zunehmend in den digitalen Raum: Nicht nur die wirksame Verfolgung von Internetdelikten erfordert zunehmend spezifisches Fachwissen seitens der Strafverfolgungsbehörden, auch die Sicherstellung, Extraktion und Auswertung von elektronischen Beweismitteln auf Datenträgern oder in der Cloud stellen die Polizeikorps und Staatsanwaltschaften vor praktische wie auch rechtliche Herausforderungen.
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Kriminalistik Campus
Redaktion:
- Matthias Lapp, Leitender Kriminaldirektor im Hochschuldienst
- Michael Rauschenbach, Kriminaldirektor im Hochschuldienst, Fachgebiet Kriminalistik – Allgemeine Kriminalstrategie, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster
In der aktuellen Ausgabe der Kriminalistik finden Sie wieder zwei Hausarbeiten, die als Prüfungsleistung des Moduls „Kriminalität – Phänomen, Intervention und Prävention“ im Rahmen des Masterstudiengangs „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ an der Deutschen Hochschule der Polizei im Frühjahr 2020 gefertigt wurden. Die Autoren hatten mit der ersten Welle der Corona-Pandemie zu kämpfen, wodurch der Zugang zu Daten und Interviewpartnern erschwert war.
Thorsten Kleinschmidt thematisiert in seiner Hausarbeit die Scheineheschließung als Modus Operandi der gewerbsmäßigen Einschleusung. Das Ziel der Täter ist es dabei, Drittstaatsangehörigen durch fingierte Eheschließungen mit EU-Bürgern eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung in Deutschland (sog. Aufenthaltskarte) zu verschaffen.
Wenngleich es sich bei dieser Tatbegehungsweise nicht um ein Massenphänomen handelt, wird es auf europäischer und nationaler Ebene als zunehmend relevant eingestuft. Hierzu dürfte insbesondere die Einbindung international vernetzter Tätergruppierungen sowie die hohe Erfolgswahrscheinlichkeit beitragen.
Nach einer beispielhaften Darstellung des Modus Operandi analysiert Kleinschmidt die bestehenden Interventionsmöglichkeiten auf europäischer und nationaler Ebene kritisch und untersucht die damit verbundenen Herausforderungen und Problemstellungen. Daraus leitet er konkrete Handlungsansätze ab, wobei er neben rechtlichen Optimierungen insbesondere auf eine verbesserte informationelle Vernetzung, behörden- und institutionenübergreifende Zusammenarbeit sowie die Sensibilisierung eingebundener kommunaler Behörden hinweist.
Andreas Kruse befasst sich in seiner Arbeit mit der „Bekämpfung der offenen Drogenszene in der Hansestadt Lübeck“ und stellt insbesondere „Möglichkeiten und Grenzen der Lübecker Sicherheitspartnerschaft zur dauerhaften Auflösung der offenen Drogenszene“ in den Fokus seiner Betrachtung.
Der Umgang mit illegalen Drogen, Sucht und Drogenkriminalität erfordert einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Daher fußen Drogenstrategien in aller Regel auf den vier Elementen: Prävention (Reduzierung der Nachfrage), Repression (Reduzierung des Drogenangebots), Therapie sowie Harm Reduction (Reduzierung der negativen Auswirkungen für Drogenabhängige und deren Umfeld).
Offene Drogenszenen sind ein deutlich sichtbares Zeichen der Auswirkungen des illegalen Drogenkonsums in der Gesellschaft. Sie werden durch den „normalen“ Bürger als eine Bedrohung wahrgenommen, die das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt. Die Angehörigen solcher Szenen stehen scheinbar am Rand der Gesellschaft. Durch sie werden Ordnungsstörungen und Straftaten begangen. Sie sind aber auch Opfer von Straftaten. Zur Problemlösung wird regelmäßig die Polizei als ein wesentlicher Akteur nachgefragt, wenn viele andere Maßnahmen bereits gescheitert sind, obwohl die polizeilichen Möglichkeiten begrenzt sind. Kruse beschreibt anschaulich und selbstkritisch, wie der Umgang mit der Drogenszene in Lübeck erfolgt ist. Die Arbeit wird insbesondere allen empfohlen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Kriminalstrategien gegen das gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern
Untersuchung europäischer und nationaler Instrumente gegen die Scheineheschließung als Modus Operandi moderner Schleusernetzwerke
Von Thorsten Kleinschmidt
Bekämpfung der offenen Drogenszene in der Hansestadt Lübeck
Möglichkeiten und Grenzen der Lübecker Sicherheitspartnerschaft zur dauerhaften
Auflösung der offenen Drogenszene
Von Andreas Kruse
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Recht aktuell
Mutmaßliche Einwilligung beim Verabreichen von Schmerzmitteln durch einen Nichtarzt
1. Die Handlung eines Nichtmediziners, der einem Sterbenskranken lege artis Schmerzmittel verabreicht, die nicht im Einklang mit einer ärztlichen Verordnung stehen, kann durch eine (mutmaßliche) Einwilligung gerechtfertigt sein.
2. Ob eine mutmaßliche Einwilligung im Einzelfall vorliegt, ist durch eine Gesamtwürdigung aller Umstände zu ermitteln, die für einen mutmaßlichen Patientenwillen von Bedeutung sein können.
BGH, Beschl. v. 26.5.2020
2 StR 434/19
bb
Strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung („Trulla“)
1. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfordert bei einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Beleidigung im Normalfall eine Abwägung der Beeinträchtigungen, die einerseits der persönlichen Ehre, andererseits der Meinungsfreiheit drohen.
2. Einer Einzelfallabwägung bedarf es ausnahmsweise nicht bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen.
3. Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass bei Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erforderlich ist.
4. Hält ein Gericht eine Äußerung ohne hinreichende Begründung für eine Schmähung, ohne hilfsweise eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen zu haben, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler (hier bejaht).
BVerfG, Beschl. v. 19.8.2020
1 BvR 2249/19
jv
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Literatur
Neuauflage eines Klassikers
Hans Walder (†), Thomas Hansjakob (†), Thomas E. Gundlach, Peter Straub, Kriminalistisches Denken, 11. völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., 2020, Kriminalistik Verlag C.F. Müller GmbH, Heidelberg, 464 Seiten, Softcover, 28 Euro, auch als E-Book: 27,99 Euro
2020 ist ein Standardwerk der Kriminalistik in der 11. Auflage erschienen: Kriminalistisches Denken. Ein echter Klassiker, dessen erste Ausgabe schon 1955 erschien.
Damals schrieb der Erstautor Dr. Hans Walder: „Die vorliegende Arbeit befasst sich (…) mit der intellektuellen Tätigkeit, mit den Denkleistungen, die derjenige ausüben bzw. vollbringen muss, der ein wirkliches oder vermeintliches Verbrechen aufklären will.“ Daran hat sich im Kern nichts geändert.
Wer nun allerdings meint, es gehe in diesem Buch (nur) um das DENKEN, irrt gewaltig. Es geht vielmehr um das kriminalistische Denken im Gesamtspektrum der Kriminalistik. Erfolgreiche kriminalistische Arbeit ist ohne kriminalistisches Denken nicht möglich. Allerdings muss diese intellektuelle Tätigkeit methodisch und auf Erkenntnissen moderner Kriminalwissenschaften stattfinden.
Ab 2005 führte Dr. Thomas Hansjakob das Werk bis zur 10. Auflage (2016) fort. Für die jetzt erschienene 11. Auflage zeichnet das Autorenteam Thomas E. Gundlach, Hamburger Kriminalistikprofessor, und Dr. Peter Straub, Leiter der Staatsanwalt Gossau (CH) und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen, verantwortlich. Sie schreiben in der Einleitung: „(…) das kriminalistische Denken ist die DNA des Kriminalisten.“
Das ist eine schöne Metapher. Ebenso wenig wie menschliches Leben ohne DNA möglich ist, wird ein Kriminalist oder eine Kriminalistin ohne kriminalistisches Denken erfolgreich arbeiten können. Darüber dürfen auch die rasanten Entwicklungen der Kriminaltechnik mit ihren immer besseren Nachweis- und Beweismöglichkeiten nicht hinwegtäuschen.
Die kriminelle Gegenseite agiert immer professioneller, intelligenter und raffinierter. Die damit verbundenen kriminalistischen Herausforderungen haben unsere Tätigkeit schwieriger und anspruchsvoller werden lassen – und dieser Prozess wird weitergehen. Wir müssen also unsere Mittel und Methoden schärfen, nicht zuletzt unser kriminalistisches Denken.
Inhalt
Das Autorengespann Gundlach/Straub hat eine neu bearbeitete und erweiterte Auflage vorgelegt. Das Werk ist keine trockene, theoretische Abhandlung über das kriminalistische Denken. Im Gegenteil, es ist praxisnah, aktuell und erfreulich lebendig. Viele Beispiele aus der kriminalistischen und strafrechtlichen Praxis veranschaulichen und beleben das Dargestellte. Das ist nicht nur erfreulich, sondern auch spannend, und man merkt, dass hier zwei erfahrene Praktiker am Werke sind. Apropos Darstellung: Praxisnähe und Anschaulichkeit des Buches spiegeln sich auch in vielen Grafiken wider.
Nur einige Themen aus der Fülle des Stoffes: „Die Lösung der kriminalistischen Aufgabe“ (z.B. Intelligence Cycle) - „Hypothesenbildung/ Hypothesenfehler“ - „Spurenaufnahme und –dokumentation“ (Spurenviereck) - „Beweisführung“ (Beweisgebäude, die acht [!] goldenen „W“) – Vernehmung (Vernehmungsuhr, Vernehmungspyramide). Zur „Vernehmungstaktik und -technik“ wird die SUE-Technik vorgestellt (SUE = Strategic Use of Evidence), bei der es im Kern darum geht, an welcher Stelle in einer Vernehmung Beweise präsentiert werden und wie genau dieses geschehen sollte.
Das Werk gliedert sich in drei Kapitel:
- Aufgabe und Mittel
- Die Methode
- Das Ergebnis
Einige Stichworte:
Aufgabe und Mittel: Was zeichnet einen erfolgreichen Kriminalisten aus? | Fähigkeit zur Selbstkritik | Methoden der Beweisführung | Systematisches Wahrnehmen | Systematisches Beobachten | Wahrscheinlichkeiten | Logische Erkenntnisse | Der Zufall.
Die Methode: Verdacht als Ausgangspunkt | Verdachtsarten | Verdacht und kriminalistische Erfahrung | Verdachtsschöpfung | Bilden und Überprüfen von Hypothesen | Datenbeschaffung | Analyse und Bewertung von Daten | Operative Fallanalyse (OFA) | Verdeckte Beweiserhebung | Vernehmungsmethoden | Vernehmungstaktik und -technik | Wahrheit und Lüge | Das Protokoll.
Das Ergebnis: Beweisarten | Der strafprozessuale Beweis | Der Indizienbeweis | Belastungs- und Entlastungsindizien | Der Zweifel | Ermittlungsfehler |Fehlerkultur.
Die Autoren haben die Inhalte unter Einbeziehung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht nur ergänzt und deutlich erweitert, sondern auch umfassend aktualisiert. Das Werk erfüllt die wissenschaftlichen Ansprüche. Neben einem umfangreichen Literatur- und Quellenverzeichnis (bisher immer nur Literaturauswahl) belegen die Autoren viele Angaben mittels eines Fußnotenapparats.
Darum ist es wichtig
Das kriminalistische Denken setzt beim Wissen an, aber tatsächlich ist es mehr als das. Die im Buch behandelten Themen und praktischen Beispiele zeigen, wie interessant, spannend und bereichernd der Beruf des Kriminalisten ist. Viele werden (als Studierende) angezündet, und diejenigen, deren Feuer zu erlöschen droht, lassen sich - nicht selten durch außergewöhnliche Kriminalfälle - neu entflammen.
Kriminalist ist nicht, wer sich nur so bezeichnet. Kriminalist ist, wer auf Basis einer sehr guten theoretischen und praktischen (Hier gibt es Brüche!) Ausbildung, angeleitet von kompetenten Praxisbegleitern und vorbildlichen Vorgesetzten das kriminalistische Handwerk erlernt, Berufserfahrungen sammelt und kriminalistische Erfolge erringt – und sich beständig fachlich fortbildet.
Dieses Standardwerk leistet dazu einen außerordentlich wichtigen Beitrag.
Aufgrund eines Versehens, für das weder der Verfasser noch Verlag/Redaktion verantwortlich sind, ist in Kriminalistik 2/2021 die falsche Fassung verwendet worden.
Wolfgang Sielaff, Leiter LKA Hamburg und Polizeivizepräsident a.D.
Lesenswerte kriminalistische Rundreise
Artkämper, Gundlach, Straub (Hrsg.), Kriminalistik – ein aktueller Themenüberblick, 6. Band der Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V., Richard Boorberg Verlag, Stuttgart, 1. Auflage 2020, 400 Seiten, 58 Euro
Fünf Jahre legten die Herausgeber zwischen die Bände 5 und 6. Im Vorwort erklären sie, dass verschiedene Imponderabilien das Erscheinen verzögert, aber nicht verhindert hätten. In der Tat, was lange währt, wird endlich gut! Die Bände der Schriftenreihe spiegeln die Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V. (DGfK) wider, diesmal der Jahre 2015 bis 2019. Für die Eiligen werden zusammenfassende Tagungsberichte angeboten. Für die Gründlichen, so die Herausgeber, sind viele (nicht alle) Vorträge vollständig abgedruckt, wobei sie nicht thematisch oder chronologisch, sondern alphabetisch nach Autoren geordnet sind. Auswahl und Anordnung sollen Abwechslung schaffen und anregen im Buch zu blättern und sich mit einem Thema zu befassen, auf das man nicht sofort neugierig war. Ein etwas ungewöhnlicher Anspruch für einen fachkundigen Leser! Unterstützung findet er aber in einem vorbildlichen Inhaltsverzeichnis mit tiefer Gliederung der einzelnen Aufsätze, Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren sowie einem Stichwortverzeichnis.
Entsprechend breit gefächert sind die Themen. Sie reichen vom Untersuchungsrichter Hans Gross und seiner historischen Verdienste um die Verwissenschaftlichung der Verbrechensaufklärung (Autor Bachhiesl) über „Klassiker“ wie Todesfallermittlungen (Gottspenn) und Operative Fallanalyse (Marouschek), bis hin zu spezielleren wie Gewaltfolgen und das Istanbul-Protokoll (Wenzel, Alksiri, Ebenberger, Kletecka-Pulker), die Novellierung der § 113 ff. StGB (Floren), Criminal Geographic Profiling (Soder, Auderset), Ontologie- Informationssystem (Schwarz) oder der Vorstellung eines psychologischen Modells zur Unterscheidung zwischen inklinierendem und periculärem sexuellen Sadismus (Benecke). Natürlich dürfen in einem kriminalistischen Fachbuch forensische Themen nicht fehlen: Sprache als Beweismittel (König), Sprecher-Erkennung/ Forensische Phonetik (Meinerz), Forensische Linguistik am Beispiel einer Fallstudie (Richarz), Forensische (Hand-) Schriftenvergleichung (Seitz), linguistische und para-linguistische Informationen in gesprochener Sprache (Weiss) sowie zeitgenössische Trends in der forensischen Fotografie (Sazdovska, Straub, Pritzl). Themen wie die Vorhersage zukünftiger Deliktstatorte und Deliktszeiten (Leitner, Kocher, Glasner), die Rolle des Psychiaters im Erkenntnisverfahren (Müller), Frauen als Sexualtäterinnen Roßmanith), Psychische Belastungen in der Polizei Österreichs (Schneider), Ermittlungen in der privaten Wirtschaft durch Dienstleistungsunternehmen – Management Fraud (Schwager) sowie Merkmale erlebnisbasierter Aussagen (Volbert) vervollständigen die angekündigte breite Themenpalette dieses kriminalistischen Kompendiums.
Leider nur im Vorwort der Herausgeber wird kurz die Frage angerissen, wie es eigentlich aktuell mit der Kriminalistik und der Kriminalistenausbildung aussieht. Die Situation findet zwar mit der Begrifflichkeit „Stiefkind“ eine treffende Bezeichnung, aber eine vertiefende Diskussion sucht der interessierte Leser vergebens. Wenn nicht die DGfK, wer sonst wäre aufgefordert, hierzu in ihrem Jahresband deutlich Position zu beziehen. Insgesamt ein lesenswertes Buch, dessen Nachfolger nicht wieder fünf Jahre auf sich warten lassen sollte.
Bernd Fuchs, Chefredakteur Kriminalistik