Editorial der Ausgabe Juli 2021
Verehrte Leserinnen und Leser,
auf der 236. Sitzung in der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 24. Juni wurde der Bericht des 1. Untersuchungsausschusses zum folgenschwersten dschihadistischen Mordanschlag auf deutschem Boden im Plenum diskutiert. Zu Beginn erinnerte der Vorsitzende Klaus-Dieter Gröhler an die Opfer und verlas ihre Namen: Anna und Georgiy Bagratuni, Sebastian Berlin, Nada Cizmar, Fabrizia Di Lorenzo, Dalia Elyakim, Christoph Herrlich, Klaus Jacob, Angelika Klösters, Dorit Krebs, Lukasz Urban und Peter Völker. Für die Angehörigen auf der Besuchertribüne war dies sicherlich eine wichtige Geste. Nur zwei Tage später wurden in Würzburg Frauen Opfer einer hinterhältigen dschihadistischen Messerattacke. Drei von ihnen hatten keine Chance: Christiane H., Johanna H. und Steffi W. Während sich die meisten Medien weitgehend im Einklang mit der Politik umfassend mit dem Täter und einer möglichen psychischen Erkrankung beschäftigten, gaben andere, allen voran die Deutsche Presse Agentur, den Getöteten ihre Namen und würdigten mit konkreter Schilderung ihren selbstlosen Einsatz, den sie schließlich mit dem Leben bezahlen mussten. Im Gegensatz zur Veröffentlichung und dem Teilen von Fotos der Opfer in Sozialen Medien hätte es den Angehörigen sicher geholfen, wenn zumindest ihre Vornamen bei der Trauerfeier im Würzburger Dom am Tag nach der Tat Erwähnung gefunden hätten. Bei allen extremistischen und terroristischen Anschlägen müssen die Opfer und die Umstände ihres Todes feste Bestandteile einer Erinnerungskultur sein oder werden. Namenlose Opfer sind einer freiheitlichen Gesellschaft unwürdig.
Am Tag der Trauerfeier in Würzburg wurde in Wien-Donaustadt die 13-jährige Leonie ermordet aufgefunden. Mehrere afghanische Asylbewerber sind tatverdächtig. Bundeskanzler Kurz wurde deutlich: „Mit mir wird es definitiv keinen Abschiebestopp nach Afghanistan und keine Aufweichung der Asylgesetze geben.“ Die Tat habe ihn schockiert und mache ihn wütend. Nach solchen barbarischen Verbrechen könne man nicht zur Tagesordnung übergehen. Er verspreche, alles dafür zu tun, dass die Täter hart bestraft würden: „Ich halte es für untragbar, dass Menschen zu uns kommen, Schutz suchen und solche grausamen, barbarischen Verbrechen begehen“. Dass sich nach solchen Taten die Diskussionen über Versäumnisse in der Flüchtlings- und Asylpolitik verstärken, ist nachvollziehbar. Auch in Deutschland müssen sich alle politischen Ebenen mit den Folgen der unkontrollierten Massenzuwanderung seit 2015 befassen. Allein mit Blick auf die zukünftigen unschuldigen Opferschicksale dürfen sie die Problematik nicht verdrängen oder relativieren. Das Feld bleibt sonst allein der AfD überlassen.
In dieser Ausgabe der Kriminalistik befasst sich Gerhard Hoppmann mit den Ermittlungen nach dem Sturz einer 85-jährigen Frau. Juristisch interessant ist dieser Fall vor allem, weil es trotz Behandlungsabbruchs mit Patientenverfügung zu einer Verurteilung wegen Raubes mit Todesfolge kam. Prof. Dr. Dr. Miguel Ángel Cano Paños analysiert die Familienclans in Spanien im Kontext Organisierter Kriminalität, Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe. Auch mit der Polizei befassen sich zwei Autoren. Prof. Dr. Karlhans Liebl fragt nach dem Status der Polizeiwissenschaft, ein Dauerthema angesichts immer mehr neuen und größeren Herausforderungen, vor denen die Polizei steht. Mit der Zunahme von Gewalt und Hetze gegen die Polizei beschäftigt sich Roland Christian Hoffmann-Plesch in seinen wissenschaftlichen Anmerkungen und unternimmt den Versuch, diese Entwicklung zu erklären, zu verstehen und zu deuten. Allein mit Blick auf die jüngsten Gewalttaten um die Rigaer Straße 94 in Berlin ist der Rechtsstaat am Umgang mit diesem Thema ebenso zu messen wie mit den Fällen von Würzburg und Wien.
Ihr
Bernd Fuchs
Chefredakteur