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Ausgabe März 2022

Sicherheitspolitik

Der Schengener Grenzkodex
Ein europäischer Hoffnungsträger zwischen Erosion und Neuorientierung
Von Bernd Walter

 

Extremismus

Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates
„Querdenker“ – ihre Akteure, Ideologieelemente und ihr Gewaltpotenzial
Von Prof. Dr. Stefan Goertz

 

Korruption

Korruption in osteuropäischen Staatsanwaltschaften
Eine Replik auf Teichmann (Kriminalistik 2021, S. 625 ff.)
Von Dr. Mark Leppich

 

Vernehmung/Lügenerkennung

Notwendigkeit einer kritischen Prüfung von Methoden zur Lügenerkennung und Vernehmungstaktiken zur Informationsgewinnung von Beschuldigten
Ein Positionspapier aus Psychologie und Polizei
Von Jun.-Prof. Dr. Lennart May, Teresa Schneider und Dr. Malgorzata Okulicz-Kozaryn

 

Kriminalprävention

Evidenzbasierte Prävention im Internet
„Zivile Helden“ des ProPK
Von Axel Ebers und Prof. Dr. Stephan Thomsen

Prävention gesamtgesellschaftlich denken
Ein Vorschlag für eine inklusiv angelegte polizeiliche Prävention in der Einwanderungsgesellschaft
Von Necati Benli und Erdogan Karakaya

 

Gesichtsverarbeitung im Polizeidienst

Die menschliche Gesichtsverarbeitung im Polizeidienst
Eine neue Ressource für die (kriminal-)polizeiliche Aufgabenbewältigung?
Von Michael Vomland, Dr. Markus M. Thielgen und Dr. Stefan Schade

 

Rechtsmedizin

Werkzeugspuren an Knorpel und Knochen
Von Matthias Weber und Prof. Dr. med. Markus A. Rothschild

 

Kriminalistik Schweiz

Kommissar Zufall und eine Paketbombe aus dem Jahr 2002
Von Thomas Kurmann, Florian Schmid und Jörg Arnold


 

Kriminalistik-Campus

 

Die Grundrechtsrelevanz des Betretens von Wohnungen durch V-Leute und Verdeckte Ermittler
Zugleich eine Erwiderung auf Unterreitmeier, Kriminalistik 2021, 643–644
Von Prof. Dr. Fredrik Roggan

Möglichkeiten und Grenzen der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Neuen psychoaktiven Stoffe (NPS) 184
Von Till van Loo und Roland Hoheisel-Gruler

Herausforderungen und Prozedere im Rahmen von Rückführungen entzogener Kinder
Von Leonie Hauenstein und Roland Hoheisel-Gruler

 

 

Recht aktuell

Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs beim sexuellen Übergriff

 

Literatur

Patzak/Volkmer/Fabricius: Betäubungsmittelgesetz

Jörg Kinzig: Noch im Namen des Volkes? Über Verbrechen und Strafe

Kindhäuser/Schramm, Strafrecht Besonderer Teil I

 

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Fachartikel

Der Schengener Grenzkodex
Ein europäischer Hoffnungsträger zwischen Erosion und Neuorientierung
Von Bernd Walter
Dass die drei von der EU-Kommission im Dezember 2021 vorgelegten Vorschläge zur Novellierung des Schengener Grenzkodex und zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Kooperation der Polizeien von der Fachwelt trotz ihrer hohen Bedeutung für die Bestandswahrung der Europäischen Union zunächst kaum wahrgenommen wurden, hat unterschiedliche Gründe. Zum einen liegen die Vorschläge nur in englischer Sprache vor, zum anderen beherrschen aktuell die Corona-Pandemie sowie die Taxonomie der nachhaltigen Energieträger die Diskussionsagenda der Europäischen Union. Gleichwohl sind die Vorschläge gerade für die Polizeien in mehrfacher Hinsicht wegweisend. Sie zeigen nicht nur in bemerkenswerter Deutlichkeit die sicherheitspolitischen Defizite des derzeitigen Schengen-Systems auf, sondern identifizieren neue Herausforderungen und Gefahren im Bereich der grenzüberschreitenden Kriminalität und verknüpfen die veränderte Sachlage mit weitführenden Forderungen nach neuen Kontrollmechanismen, deren Umsetzung national eine völlig neue Bewertung der Schleierfahndung zur Folge hätte. Die hierfür vorgesehene Arrondierung des Schengener Grenzkodex soll zusätzlich mit einem durchgreifenden Paradigmenwechsel bei der grenzüberschreitenden Polizeikooperation krisenfest gemacht werden. Nachfolgend werden erste Tendenzen aufgezeigt.

Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates
„Querdenker“ – ihre Akteure, Ideologieelemente und ihr Gewaltpotenzial
Von Stefan Goertz
Dieser Beitrag untersucht den neuen Phänomenbereich von Extremismus, die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Hierbei einführend die Akteure, „Querdenken 711“, ihre Interaktion mit Rechtsextremisten sowie „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“. Kapitel drei analysiert die Ideologieelemente von „Querdenkern“, wertet dazu die Ergebnisse der ersten empirischen Studien zu dieser Bewegung aus und beleuchtet auch die Rolle von Verschwörungserzählungen als (potenziellem) Radikalisierungsfaktor. In Kapitel vier wird die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ als neuer Phänomenbereich von Extremismus dargestellt und im abschließenden Hauptkapitel die Gewaltbereitschaft und das Gewaltpotenzial von militanten Anhängern dieses Phänomenbereiches begutachtet.

Korruption in osteuropäischen Staatsanwaltschaften
Eine Replik auf Teichmann (Kriminalistik 2021, S. 625 ff.)
Von Mark Leppich
Teichmann hat jüngst in dieser Zeitschrift ausgeführt, osteuropäische Staatsanwälte seien strukturell korruptionsanfällig. Dies fange bereits in der juristischen Universitätsausbildung an, in der Abschlüsse gekauft werden könnten. Die anschließende Anstellung als Staatsanwalt laufe entweder über Beziehungen (Netzwerke) oder über Bestechung derjenigen, die über die Anstellung entscheiden. Aber auch nach erfolgter Anstellung seien weiterhin Vorgesetzte, insbesondere die Generalstaatsanwälte zu bestechen, um die Karriere voranzubringen. Das System begünstige insgesamt die Einstellung und Beförderung von angepassten Kandidaten, die die Korruption zumindest hinnähmen. Einmal angestellt würden korrupte Staatsanwälte sodann Verfahren pflichtwidrig konstruieren bzw. manipulieren. Daraus folge, dass Rechtshilfe nach Osteuropa vielfach nicht zu gewähren sei und Verurteilungen aufgrund von aus Osteuropa gewonnenen Erkenntnissen hier nicht erfolgen dürften. Teichmanns These und Schlussfolgerung können nicht unwidersprochen bleiben.

Notwendigkeit einer kritischen Prüfung von Methoden zur Lügenerkennung und Vernehmungstaktiken zur Informationsgewinnung von Beschuldigten
Ein Positionspapier aus Psychologie und Polizei
Von Lennart May, Teresa Schneider und Malgorzata Okulicz-Kozaryn
Polizeiliche Entscheidungsträger*innen und Ermittelnde in Deutschland erhalten regelmäßig Aus- und Fortbildungsangebote zu Methoden der Lügenerkennung und zu Vernehmungstaktiken für Beschuldigte, die teilweise unseriös sind. Keinesfalls sollten ineffektive oder ungeprüfte Methoden und Taktiken durch die Polizei angewandt werden, da sie gravierende Folgen für unschuldige Personen (z. B. Freiheitsentzug, soziale Schäden) und die Bevölkerung (z. B. weitere Straftaten durch die eigentlichen Täter*innen, sinkendes Vertrauen in die polizeilichen Ermittlungstätigkeiten) nach sich ziehen können. Besonders problematisch sind pseudowissenschaftliche Angebote, die nicht systematisch geprüfte oder nachweislich ineffektive Inhalte vermitteln, jedoch wissenschaftlich begründet scheinen (z. B. aufgrund des Titels oder der Berufsbeschreibung der anbietenden Personen). Dieses Positionspapier will diese Problematik beleuchten und Personen aus der polizeilichen Lehre und Praxis dazu anregen, Angebote kritisch zu prüfen und schwerpunktmäßig theoretisch fundierte und nachgewiesenermaßen effektive Methoden zum Einschätzen von Falschaussagen (z. B. anhand von Widersprüchen) und Konzepten zur Vernehmung Beschuldigter anzuwenden.

Evidenzbasierte Prävention im Internet
„Zivile Helden“ des ProPK
Von Axel Ebers und Stephan Thomsen
Soziale Medien haben sich als zentrale Kommunikationskanäle etabliert. Mit ihnen wird ein großes Publikum zielgenau und ohne weitreichende technische Kenntnisse oder finanzielle Mittel angesprochen. Die Kehrseite ist ein möglicher Missbrauch in Form der Verbreitung von Hass, Hetze oder Gewaltaufrufen. Kriminalprävention in sozialen Medien wird daher immer wichtiger.
Mit der Kampagne „Zivile Helden“ des ProPK wurden interaktive Filme als neuartige Kommunikationsmittel entwickelt, um die Überzeugungen und Einstellungen in der Bevölkerung positiv zu beeinflussen. Das Projekt wurde von Anfang an wissenschaftlich begleitet, um die Wirksamkeit dieser neuen Ansätze zu evaluieren. Die Forschungsergebnisse sind vielversprechend. Diese Einbindung der Begleitforschung ist wegweisend für eine moderne, evidenzbasierte und wissenschaftsgeleitete Kriminalprävention im Internet.

Prävention gesamtgesellschaftlich denken
Ein Vorschlag für eine inklusiv angelegte polizeiliche Prävention in der Einwanderungsgesellschaft
Von Necati Benli und Erdogan Karakaya
Polizeiliche Prävention versteht sich als Teil der Kommunalen Kriminalprävention. Aufgrund von gesellschaftlich anerkannten Annahmen wird polizeiliche Prävention voraussetzungsreif gedacht und konzipiert. Diese Prämisse stellt bei der Konzeptionierung von Präventionsprojekten und -maßnahmen eine Hürde für Teile der Gesellschaft dar, wodurch die Partizipation aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Ausgangspositionen erschwert wird. Der vorliegende Beitrag thematisiert am Beispiel der Zielgruppenerreichung, wie eine inklusiv gedachte polizeilich Prävention ausgestaltet werden kann.

Die menschliche Gesichtsverarbeitung im Polizeidienst
Eine neue Ressource für die (kriminal-)polizeiliche Aufgabenbewältigung?
Von Michael Vomland, Markus M. Thielgen und Stefan Schade
Die menschliche Fähigkeit der Gesichtsverarbeitung spielt in der polizeilichen Praxis bei Observationen, Fahndungslagen oder der Auswertung von Bild- und Videomaterial eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang hat die Bedeutung von Personen mit herausragenden Fähigkeiten der Gesichtsverarbeitung, sog. Super Recognisern, für die Polizeien in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Für einen möglichst effektiven wie effizienten Einsatz in der polizeilichen Praxis ist es erforderlich, dass bei der Identifizierung von Super Recogniser die Leistungen in laborbasierten Testverfahren einen Vorhersagewert für Leistungen in realen Polizeiaufgaben haben. Im Rahmen einer Studie mit N = 114 operativ tätigen Polizeibeamt*innen wurden hierzu nicht nur drei etablierte Labortests angewendet, sondern auch die Bedeutung der Einbeziehung polizeilicher Arbeitsproben herausgestellt.

Werkzeugspuren an Knorpel und Knochen
Von Matthias Weber und Markus A. Rothschild
Die Untersuchung von Werkzeugspuren an menschlichem Knochen- und Knorpelgewebe kann zu einer eindeutigen Identifizierung des Tatwerkzeugs führen und somit als ein wertvolles Glied der Beweiskette bei der Aufklärung und Strafverfolgung von Tötungsdelikten durch scharfe Gewalt fungieren. Vorliegend werden die Grundlagen und Vorgehensweise der Untersuchungsmethode beleuchtet und aktuelle Ergebnisse eines kooperativen Forschungsprojektes des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln, des Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen und des Bundeskriminalamtes vorgestellt. Der Beitrag schließt mit Anregungen zur optimalen und zeitnahen Spurensicherung im Kontext der Sektion.

Kommissar Zufall und eine Paketbombe aus dem Jahr 2002
Von Thomas Kurmann, Florian Schmid und Jörg Arnold
2002 kam es in Küsnacht/ZH wegen einer Paketbombe zu einem Bombenalarm. Die gesicherten Spuren führten zu keinem Hit mit den in der DNA-Datenbank gespeicherten Profilen. Erst 2017 konnte die Untersuchung nach einem DNA-Hit wiederaufgenommen und im Sommer 2017 am Bundesstrafgericht in Bellinzona Anklage erhoben werden. Der Beschuldigte wurde erstinstanzlich u. a. wegen mehrfachen versuchten Mordes verurteilt. Die anschliessende Beschwerde in Strafsachen wurde vom Bundesgericht abgewiesen.

 

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Kriminalistik Campus

Redaktion: Prof. Dr. Sigmund P. Martin, LL.M. (Yale), Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Kriminalpolizei, Wiesbade

 

Die Grundrechtsrelevanz des Betretens von Wohnungen durch V-Leute und Verdeckte Ermittler
Zugleich eine Erwiderung auf Unterreitmeier, Kriminalistik 2021, 643–644
Von Fredrik Roggan
Es entspricht einer im Schrifttum nicht nur vereinzelt, sondern verbreitet geäußerten Ansicht, dass das Betreten von Wohnungen durch polizeiliche V-Leute und Verdeckte Ermittler (VE) selbst dann als Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG anzusehen ist, wenn die Wohnungsberechtigten bzw. Zielpersonen hierzu ihre Zustimmung gegeben oder sogar eine entsprechende Einladung ausgesprochen haben. Hinsichtlich entsprechender Maßnahmen nach Polizeirecht wird mitunter – durchaus griffig – davon gesprochen, dass diese im staatlichen Ermittlungsinteresse agierenden Personen „Mittel der verdeckten Datenerhebung in Wohnungen“ sein könnten. Auch mit Blick auf den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Mitarbeitern nach Geheimdienstrecht wird die Grundrechtsrelevanz mit Blick auf Art. 13 Abs. 1 GG thematisiert.
Auch in dieser Zeitschrift wurde von Gebhard/Hoheisel-Gruler die Auffassung vertreten, dass durch das Betreten von Wohnungen durch V-Personen in das Wohnungsgrundrecht eingegriffen werde. Ein insoweit bestehendes Einverständnis des Berechtigten sei irrtumsbedingt unwirksam. Es darf mithin nicht erschlichen sein. Gegen diese Auffassung wendet sich Unterreitmeier mit der von ihm so bezeichneten „berichtigenden Ergänzung“. Diese ihrerseits fordert zu einer Erwiderung heraus.

Möglichkeiten und Grenzen der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Neuen psychoaktiven Stoffe (NPS)
Till van Loo und Roland Hoheisel-Gruler, Wiesbaden
Kleine, bunte Tütchen, für jedermann im Internet bestellbar, nicht einmal der Umweg in das „Darknet“ ist nötig. Das Aussehen gleicht Kaugummi-Packungen. Sie tragen harmlose, verspielte Namen wie „Bonsai Summer“, „Private Art“, „High Orange“ oder „Amazonas Vanilla“. Die angegebenen Inhaltsstoffe versprechen Ungefährlichkeit, selbst in der Bezeichnung steckt „Legalität“. Was kann da schon schiefgehen? Im Kontrast dazu stehen unzählige Intoxikationen bis hin zu Todesfällen bei Minderjährigen, sowie Millionengewinne für das internationale organisierte Verbrechen. Die Medien sprechen von „Zombie-“ oder „Kannibalen- Drogen“. Die Rede ist von „Neuen psychoaktiven Stoffen“ (NPS), bzw. „Neuen psychoaktiven Substanzen“, auch bekannt als „Legal Highs“, „Kräutermischungen“, „Badesalze“, „Räuchermischungen“ oder „Lufterfrischer“.

Herausforderungen und Prozedere im Rahmen von Rückführungen entzogener Kinder
Von Leonie Hauenstein und Roland Hoheisel-Gruler
„In Deutschland hat sich der Anteil der deutsch-ausländischen Paare innerhalb von zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt“. Gerät eine Beziehung in die Krise, kann der elterliche Disput darin gipfeln, dass eine Partei das gemeinsame Kind ohne Einverständnis des Partners in ein anderes Land verbringt. Rechtlich problematisch ist dies in Fällen, in denen dem handelnden Elternteil das Sorgerecht nur teilweise oder gar nicht zusteht, oder wenn ohne Einverständnis des anderen gehandelt wurde, da das Aufenthaltsbestimmungsrecht den Eltern gemeinsam zusteht, soweit sie insoweit gemeinsam sorgeberechtigt sind. Folglich macht der deutsche Staat es sich zur Aufgabe, im Rahmen der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands tätig zu werden: In nationales Recht integriert wurden mehrere multinationale Übereinkommen. Gemäß § 3 Int-FamRVG ist in Deutschland das Bundesamt für Justiz die für die Rückführung entführter oder unrechtmäßig zurückgehaltener Kinder zuständige Behörde nach dem HKÜ, der Brüssel Iia-VO, dem KSÜ sowie dem ESÜ. Bis 2019 stieg die Zahl der Verfahren, die durch das BfJ bearbeitet wurden, kontinuierlich an, während 2020 die Fallzahlen vermutlich Corona-bedingt konstant blieben. Auch das Bundeskriminalamt kann im Zusammenhang mit der Suche nach entzogenen Kindern und deren Rückführung tätig werden. Vor allem im Bereich der Fahndung ist eine Unterstützung durch die Behörde möglich. Darüber hinaus können Verbindungsbeamte im Ausland den Prozess unterstützen. Neben den familienrechtlichen Möglichkeiten, ein entführtes Kind aus dem Ausland zurückzuholen steht die strafrechtliche Aufarbeitung des hier erfolgten Unrechts.

 

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Recht aktuell

Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs beim sexuellen Übergriff
1. Das Verwenden eines gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB setzt einen zweckgerichteten Einsatz voraus.
2. Kein Verwenden liegt dagegen vor, wenn sich das gefahrerhöhende Moment für das Tatopfer nur durch den Umstand des körperlichen Vorhandenseins des Werkzeuges ergibt.
BGH, Beschl. v. 8.9.2021
4 StR 166/21
bb
 

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Literatur

Neu aufgelegtes Standardwerk
Patzak/Volkmer/Fabricius: Betäubungsmittelgesetz, 10. Aufl., 2022, 2458 S., Hardcover (in Leinen), C.H. Beck Verlag München, 139 Euro
Im Nebenstrafrecht nimmt das Betäubungsmittelstrafrecht sowohl hinsichtlich der Anzahl der Verfahren wie der Komplexität der Rechtsfragen die führende Rolle ein. Der Standardkommentar zu diesem Bereich aus der Reihe der Beck’sche Kurzkommentare (in einer Reihe mit dem „Fischer“ und dem „Meyer-Goßner“) ist seit vielen Jahren der „Körner“, der nun aber nicht mehr den Namen seines Begründers trägt, sondern nun etwas sperrig „Patzak/ Volkmer/Fabricius“ heißt, dafür aber seine aktuellen Bearbeiter präziser angibt. Diese haben mit der Neuauflage wieder „ganze Arbeit geleistet“ und neben den seit der neunten Auflage aus dem Jahr 2019 anstehenden Aktualisierungen neue Schwerpunkte gesetzt.
Diese bestehen im Wesentlichen in einem neuen Kapitel zum Online-Handel beim „Handeltreiben“ in der Kommentierung zu § 29 BtMG, einem überarbeiteten Kapitel zum Umgang mit Nutzhanf und CBD-Produkten mit geringem THC-Gehalt in der Rechtsprechung, einer vertieften Befassung mit Drug-Checking und einem neu angelegten und stark ausgebauten Kapitel zu den Konkurrenzen. Im Bereich des Online-Handels, der von Patzak in der Kommentierung zu § 29 Rdnrn. 279 ff. näher beschrieben wird, geht es um ungewohnte Begrifflichkeiten wie die Unterscheidung in der rechtlichen Bewertung bzgl. Administratoren/ Moderatoren und Vendoren/Membern. Die Besonderheiten im Umgang mit Nutzhanf werden in der Kommentierung von § 2 Rdnrn. 16 ff. umfänglich in den Rdnrn. 16a-16e erläutert und herausgearbeitet, dass der Gesetzgeber THC-arme Cannabissorten nicht für Lebensmittel oder Genussmittel nutzbar machen wollte. Beim ausführlich beschriebenen Drug-Checking (§ 29 Rdnrn. 1442 ff.), d. h. der chemischen Analyse von illegal erworbenen Stoffen, stellt sich u. a. die Frage, ob das Anbieten des Drug-Checking s nach bisheriger Rechtslage nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 BtMG strafbar ist. Da es bei den Tatbestandsalternativen der §§ 29–30a BtMG mit den verschiedenen, sich teilweise überkreuzenden, Tathandlungsalternativen und den Qualifikationen häufig zu Überschneidungen kommt und sich daneben auch sog. „Begleitkriminalität“ ereignet, spielen die Konkurrenzen bei der Frage nach der Strafbarkeit eine erhebliche Rolle, die nun mit einem Schwerpunkt auf dem Handeltreiben angemessen breit unter § 29 Rdnrn. 454 ff. erörtert wird. Im Übrigen wird mit Bearbeitungsstand November 2021 die höchstrichterliche Rechtsprechung zum BtMG sowie zu den strafrechtlichen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, des Grundstoffüberwachungsgesetzes, des Neue-psychoaktive- Stoffe-Gesetzes und des Anti-Doping-Gesetzes vollständig ausgewertet.
Die bis zur Vorauflage erfolgende Einteilung der Fußnoten bei der Kommentierung des § 29 BtMG nach „Teilen“ mit jeweils neu beginnender Randnummer wurde aufgegeben und es wurden nun einheitliche Randnummern für den ganzen § 29 BtMG vergeben. Dies erhöht die Zahl der Randnummern auf 1760, erleichtert aber das Zitieren und die Verlinkbarkeit mit Beck-online. Da die umfangreiche Kommentierung zu § 29 BtMG aber nicht weniger geworden ist, wird im Text des Kommentars weiter nach 30 Kapiteln, die den ursprünglich 30 Teilen entsprechen, unterteilt. 
Das Werk gilt zu Recht als „Standardwerk“, weil es insbesondere dem erfahrenen Praktiker, die schnell eine konkrete Rechtsfrage auf dem Gebiet der Betäubungsmittelrechts entscheiden muss, zumeist eine klare Lösung der Frage bietet. Aber auch Studierende oder Praktiker, die sich neu mit der Materie befassen müssen, erhalten über die Lösung konkreter Rechtsfragen hinaus auch einen Überblick, der sie zur Problemlösung bzw. zum Grundverständnis der Materie hinführt. Über den engeren Kreis von Praktikern wie Richter, Staatsanwälte, Polizei- und Zollbeamte und Strafverteidiger hinaus spricht der Kommentar auch einen weiteren Leserkreis – wie Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Strafvollzugsbedienstete, Mitarbeiter therapeutischer Einrichtungen und Beratungsstellen, Bedienstete von Sozialbehörden sowie Ärzte, Apotheker, Erzieher – an, weil das Werk neben den für Juristen bedeutsamen Themen auch viele Informationen zu medizinischen, chemischen und pharmakologischen Fragen umfasst. Der Kommentar ist damit eine umfassende und kompakte Übersicht von Praktikern für Praktiker über das gesamte Betäubungsmittelstrafrecht im weiteren Sinn.

Prof. Dr. Sigmund P. Martin, Wiesbaden


Gelungene Übersicht
Jörg Kinzig: Noch im Namen des Volkes? Über Verbrechen und Strafe, Zürich (Orell Füssli Verlag), 2. Aufl. 2021, 128 S., 12 Euro (Vertrieb über Nomos)
Nur wenige Themen eignen sich gleichermaßen gut für – gerne auch hitzig geführte -Diskussionen im Familien- und Freundeskreis, am Studien- und Arbeitsplatz sowie bei sonstigen alltäglichen Gelegenheiten, sind häufig Gegenstand von Film- und Fernsehproduktionen und ein fester Bestandteil der Literatur. Die Rede ist von Verbrechen und Strafe.
Zu wesentlichen Fragen beider Themenfelder sind die Meinungen ebenso vielfältig wie kontrovers – häufig gebildet auf Grundlage unzureichender Erkenntnisse und unter dem Eindruck aktueller medialer Berichterstattung sowie filmischer oder literarischer Darstellungen.
Diese Fragen aufgreifend liefert der Autor als Strafrechtler und Kriminologe zahlreiche Hintergrundinformationen in seiner Darstellung, die die gängigen Klischees kritisch hinterfragt und in einem anderen Licht erscheinen lässt. Erklärtes Ziel ist es, Antworten zu geben. Dieses Ziel, so viel sei vorweggenommen, wird häufig nicht erreicht, zeigt sich die Materie doch oftmals zu komplex, der als gesichert geltende Erkenntnisstand als zu gering, dass alle Fragen abschließend beantwortet werden könnten.
Letztlich macht aber gerade dieser Umstand den Reiz dieses Essays aus, denn es regt an, weitere Fragen zu stellen, ihnen nachzugehen und tiefer in die Materie einzutauchen.
In der Einleitung klärt der Autor eingängig über seine Arbeitsfelder auf und umreißt anhand plakativer Beispiele den Rahmen des Buchinhalts. Anschließend werden in zehn Kapiteln Themen wie die Messbarkeit der Kriminalität über Kriminalitätsfurcht bis zum Strafvollzug in erfrischend prägnanter Weise behandelt um abschließend eine Bilanz zu ziehen und Lösungsansätze aufzuzeigen.
Dabei stützt sich der Autor nicht nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern bezieht historische Betrachtungen ebenso mit ein wie unmittelbare persönliche Erfahrungen zum Beispiel aus seiner Lehrtätigkeit.
Auch wenn in Einzelfällen eine vertiefte Betrachtung wünschenswert gewesen wäre, wie etwa beim Thema „ausländische Straftäter“ – hier hätten noch weitere Aussagen zu den Hintergründen delinquenten Verhaltens die Darstellungen ergänzen können –, halten diese insgesamt die Balance zwischen notwendiger Betrachtungstiefe und fachlicher Überfrachtung.
Somit ist das an den verständigen Laien gerichtete Buch für diesen gut lesbar gestaltet, in der Argumentation eingängig und geeignet, sich schnell einen fundierten Überblick zu verschaffen. Aber auch der fachlich versierte Leser findet interessante Informationen und Anregungen zur vertiefenden Betrachtung.
Das Ziel, mit weit verbreiteten Vorurteilen über Verbrechen und Strafe aufzuräumen, dürfte jedenfalls erreicht werden.

Joachim Faßbender

 

Wissenschaftlich anspruchsvoll und praxisnah
Kindhäuser/Schramm, Strafrecht Besonderer Teil I, Nomos Verlag, Baden- Baden, 10. Aufl. 2022, 524 S., kart. 25,90 Euro
Das im Jahre 2005 von Kindhäuser begründete und nunmehr von Edward Schramm, Lehrstuhlinhaber an der Universität Jena, fortgeführte Lehrbuch ist umfassend aktualisiert und auf den Stand des StGB vom 12. August 2021 gebracht worden. Behandelt werden demgemäß u. a. das Cyberstalking, das Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet, Fragen der Strafbarkeit des Ausstellens und Verwendens von gefälschten bzw. inhaltlich unrichtigen Gesundheitszeugnissen und die Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen. Auch auf die sog. Hasskriminalität wird mehrfach eingegangen.
Zehn Auflagen sind ein deutliches Indiz, dass das Konzept des Werkes bei Leserschaft gut „angekommen“ ist. Die besonderen Vorzüge des Buches liegen in der Art der Wissensvermittlung. Die abstrakten Ausführungen werden ständig durch Beispiele (mit knappen Lösungen) aufgelockert. Nützlich sind auch die gelegentlich verwendeten graphischen Darstellungen und Übersichten. Der Selbstkontrolle dienen die am Ende eines Kapitels abgedruckten Wiederholungs- und Vertiefungsfragen. Ein rd. 17 Seiten umfassendes Glossar rundet die Darstellung vorteilhaft ab. Das Lehrbuch mag in erster Linie für das Jurastudium gedacht sein, es eignet sich aber auch hervorragend für Studierende an Polizeihochschulen. Angesichts der methodischen Vorzüge leistet das Buch eine gute Hilfestellung bei der Abfassung von Klausuren und häuslichen Arbeiten.
Fazit: Ein zugleich wissenschaftlich anspruchsvolles und praxisnahes Lehrbuch, dessen Preis-Leistungs-Verhältnis hervorragend ist.

Prof. Dr. Jürgen Vahle


Verlag C.F. Müller

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