Logo C.F. Müller
Ausgabe Mai 2022

Russland-Ukraine-Krieg

Der Krieg in der Ukraine
Folgen für Deutschland und Europa/Teil 1: Die Hybridkriegsführung Russlands
Von Stefan Goertz
(Teil 2 in Ausgabe 6/2022)

Auswirkungen des russisch-ukrainischen Krieges auf die linksextreme Szene in Deutschland
Positionen, Debatten und Verbindungen ins Kriegsgebiet
Von Irina Jugl
 

Renegaten als polizeiliches Gegenüber

„Renegade“
Polizeibeamte und Militärs als Polizeiliches Gegenüber
Von Christian Herrmann
 

Bedrohungsmanagement

Von digitalem Hass zu analoger Gewalt
Warum Bedrohungsmanagement in die Online-Räume vordringen muss.
Teil II: Bedrohungsmanagement ,onlife‘ – Destruktive Dynamiken in und aus Online-Räumen.
Von Marcus Papadopulos
 

Migration

Dauerhafte Residenzpflicht und Wohnsitzauflage für Zuwanderer
Symbolcharakter eines integrationshemmenden (oder -fördernden) Prozesses?
Von Hülya Duran
 

Deradikalisierungs-/ Disengagement-Maßnahmen

Strukturen Krimineller Netzwerke 
Als Hindernis erfolgreicher Deradikalisierungs- und Disengagement-Maßnahmen
Von Trygve Ben Holland, Sarah Holland, Arthur Hartmann und Gabriela Piontkowski
 

Geldwäschebekämpfung

Die Geldwäschebekämpfung beim Erwerb von Immobilien
Aufklärung und Aufsicht
Von Christian Klur
 

Strafprozessrecht

Haft statt Freikarten
Zur Zulässigkeit von Täuschungshandlungen zur Vollstreckung von Haftbefehlen
Von Timotheus Büchter und Anna Hummels
 

Kriminalistik-Schweiz

Cybersicherheit in der Schweiz braucht einen besseren rechtlichen Rahmen
Von Markus Christen, Melanie Knieps und Reto Inversini
 

Kriminalistik-Campus

Aufrüstung in der rechtsextremen Szene?
Eine Analyse von Zugangsmöglichkeiten zu Schusswaffen in Zeiten des Akzelerationismus
Von Finn Bernhard Marienfeld

Rechtliche und kriminalistische Herausforderungen bei der Bekämpfung von Kryptogeldwäsche
Von Carolin Tanneberger und Roland Hoheisel-Gruler

 

Recht aktuell

Totschlag durch Unterlassen

„Nein heißt nein“ beim sog. Stealthing

 

Literatur

Konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang mit Opfern
M. Carolin Blum, Opferschutz und Opferhilfe

Ein vorbildliches Lernbuch
Bijan Nowrousian/Luca Bahne, Strafrecht für die Polizei

Eine besondere Empfehlung
Annette Marquardt/Carola Oelfke, Basiswissen Strafprozess für Polizeibeamte

 

_________________________

 

Fachartikel

Der Krieg in der Ukraine
Folgen für Deutschland und Europa/Teil 1: Die Hybridkriegsführung Russlands
Von Stefan Goertz
Dieser Beitrag ist Teil 1 einer Serie über den Krieg in der Ukraine und seine Folgen für Deutschland und Europa. Folgen auf den Ebenen Innere Sicherheit, Sicherheitspolitik in Form einer Überschneidung von Äußerer und Innerer Sicherheit, Flüchtlinge, Energiesicherheit, wirtschaftliche Folgen mit potenziellen Konsequenzen wie Populismus, Radikalismus und Extremismus in Deutschland sowie eine potenziell neue Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas. In diesem ersten Teil wird die Kriegsführung Russlands in der Ukraine thematisiert, dabei Hybridakteure Russlands besprochen. Russische Kriegsverbrechen in der Ukraine werden thematisiert, sie haben die Flucht Millionen ukrainischer Frauen und Kinder zur Folge. Russische Cyberattacken gegen die westliche Welt sowie russische Desinformationskampagnen haben mit dem Beginn der russischen Invasion begonnen und stellen eine wesentliche Bedrohung der Inneren Sicherheit Deutschlands und Europas dar, so dass sie in den nächsten Beiträgen erneut thematisiert werden.
(Teil 2 in Ausgabe 6/2022)

Auswirkungen des russisch-ukrainischen Krieges auf die linksextreme Szene in Deutschland
Positionen, Debatten und Verbindungen ins Kriegsgebiet
Von Irina Jugl
Der Angriffskrieg Russlands im Februar 2022 auf die Ukraine löste innerhalb der extremistischen Szenen in Deutschland kontroverse Debatten aus. In der linksextremen Szene lassen sich sowohl prorussische als auch pro-ukrainische Positionierungen feststellen. Welche Narrative und Deutungsmuster in diesem Diskurs der linksextremen Szene eine Rolle spielen, wird im folgenden Artikel näher beleuchtet. Darüber hinaus wird untersucht, wie sich linksextreme Kämpfer in der Ukraine organisieren und inwiefern auch Verbindungen nach Deutschland bestehen. Diesbezüglich wird auch eine mögliche Relevanz linksextremer Ausreisender aus Deutschland in das Kriegsgebiet diskutiert.

„Renegade“
Polizeibeamte und Militärs als Polizeiliches Gegenüber
Von Christian Herrmann
Der Aufsatz behandelt die Thematik so genannter „Renegaten“, also „abtrünnig“ gewordenen Polizeivollzugsbeamten und Soldaten, die Es werden psychologische und einsatztaktische Fragestellungen beleuchtet. „Renegaten“ weisen eine besondere polizeiliche Relevanz auf, da sie häufig an Wirkmitteln wie Faustfeuerwaffen oder aber Kriegswaffen ausgebildet sind und internes Organisations-und Ablaufwissen besitzen. Damit sind sie Polizeikräften mindestens gleichwertig, im ungünstigen Fall auch in Ausbildung und Ausrüstung (z. B. Panzerabwehrhandwaffen) voraus. Die Thematik hat aufgrund von Reallagen (vgl. Fahndung nach dem belgischen Soldaten Jürgen Conings 2021) große Bedeutung und praktische Relevanz. Es gilt, sich antizipierend auf ein solches Szenar vorzubereiten.

Von digitalem Hass zu analoger Gewalt
Warum Bedrohungsmanagement in die Online-Räume vordringen muss. Teil II: Bedrohungsmanagement ,onlife‘ – Destruktive Dynamiken in und aus Online-Räumen.
Von Marcus Papadopulos
Soziale Netzwerke, Messenger-Dienste und Imageboards sind Online-Räume der weltweiten Kommunikation und aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken; der Zugang zu ihnen ist faktisch uneingeschränkt möglich. Ihre Schattenseiten zeigen sich u. a. in Form von Hass und ideologischer Aufladung: transnationale Bewegungen bilden in Online-Räumen Communities, in denen Verschwörungserzählungen und Aufrufe zur Gewalt schnell und anonym verbreitet werden können. Ebenso kommt es hier zu Radikalisierungsverläufen, die in schweren zielgerichteten Gewalttaten münden. Die Sicherheitsbehörden stehen vor der Herausforderung, solche Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und geeignet zu reagieren.
(Teil I in Ausgabe 4/2022)

Dauerhafte Residenzpflicht und Wohnsitzauflage für Zuwanderer
Symbolcharakter eines integrationshemmenden (oder -fördernden) Prozesses?
Von Hülya Duran
Das Recht selbst entscheiden zu können wo man leben möchte, sollte in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein. Das Recht auf Freizügigkeit sieht nicht nur das Grundrecht vor, sondern auch die europäischen Verträge wie EuV und AEUV sowie die Grundrechte- Charta. Viele Flüchtlinge in Deutschland jedoch können von diesem Privileg kaum Gebrauch mehr machen. So müssen diejenigen Flüchtlinge, die nach dem 1. Dezember 2016 nach Deutschland kamen, dort hinziehen wohin die zuständige Bezirksregierung sie schickte. Die sog. Wohnsitzauflage bestimmt somit vorerst das neue Zuhause dieser Menschen. Dabei werden Faktoren wie etwa die Nähe zu der Familie, den Freunden oder der Arbeitsstätte kaum berücksichtigt. Wohnsitzauflagen für Flüchtlinge gibt es in allen Bundesländern, allerdings werden sie von jedem Land unterschiedlich gehandhabt. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen setzt die Auflage besonders streng um.

Strukturen Krimineller Netzwerke
Als Hindernis erfolgreicher Deradikalisierungs- und Disengagement-Maßnahmen
Von Trygve Ben Holland, Sarah Holland, Arthur Hartmann und Gabriela Piontkowski
Diesem Beitrag liegen Erkenntnisse aus drei EU-geförderten Forschungsprojekten zugrunde: JP-COOPS (Judicial and Police Cooperation preventing Radicalisation towards Terrorism), R4JUST (Radicalisation prevention competence development programme for Justice Professionals) und FAIRNESS (Implementation of the Stockholm Roadmap in Cases of Terrorism and Radicalisation); an der Umsetzung dieser Projekte waren polizeiliche und justizielle Einrichtungen, Mandatsträger und Beauftragte ebenso wie Akteure der Zivilgesellschaft und Sachverständige mehrerer Disziplinen in einer Vielzahl von EU-Mitgliedstaaten beteiligt. Es werden in diesem Beitrag keine quantitativen Ausführungen (zu den zugrundeliegenden 420 Überblicks- und 53 geclusterten vertieften Einzelfall-Analysen) dargelegt, sondern deren summarische qualitative Interpretationen aus anwendungsorientierter Sicht vorgestellt. Das Thema Deradikalisierung ist weder eindeutig der Kriminologie noch der Kriminalistik, jeweils ausschließlich, zuzuordnen. Daher ist auf Strategien, Maßnahmen und Instrumente aus einem (vage bezeichnet) multipolaren Blickwinkel einzugehen: Die Krux dabei ist nicht lediglich der Umgang mit dem hiervon adressierten Individuum, sondern auch dessen etwaige Einbindung in Kriminelle Netzwerke, so dass über vorhandene Ansätze zur Einbeziehung des sozialen Umfelds hinausgegangen werden muss.

Die Geldwäschebekämpfung beim Erwerb von Immobilien
Aufklärung und Aufsicht
Von Christian Klur
Die Unterbindung der Geldwäsche stellt einen wesentlichen Faktor bei der Bekämpfung der Gewinn orientierten Kriminalität dar. Diesem Umstand trugen insbesondere umfangreiche gesetzliche Anpassungen in jüngerer Vergangenheit Rechnung. Ist nunmehr der Finanzsektor umfangreich reguliert, stellt sich die Situation im Immobiliensektor anders dar. Der nachfolgende Beitrag geht daher der Frage nach, inwieweit im Immobiliensektor eine effektive Bekämpfung der Geldwäsche erfolgt.

Haft statt Freikarten
Zur Zulässigkeit von Täuschungshandlungen zur Vollstreckung von Haftbefehlen
Von Timotheus Büchter und Anna Hummels
Der Aufsatz beleuchtet die Frage der Zulässigkeit von Täuschungshandlungen zur Vollstreckung von Haftbefehlen. Dies geschieht anhand eines Beispiels aus der Praxis der US-amerikanischen Polizei, die bereits verurteilten Kriminellen fiktive Gewinnbenachrichtigungen zukommen ließ und diese dann bei Erscheinen am Abholungsort festnahm. Es wird untersucht, ob eine solche Vorgehensweise auch nach deutschem Recht zulässig wäre. Zunächst wird festgestellt, dass in der Vorgehensweise ein Grundrechtseingriff liegt und ggf. der Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllt sein kann. In einem Vergleich mit den sog. „Nicht offen ermittelnden Polizeibeamten“ wird gezeigt, dass eine Rechtfertigung der Täuschung durch die strafprozessuale Ermittlungsgeneralklausel möglich ist. In einer Gesamtabwägung wird die Vorgehensweise als zwar ungewöhnlich, jedoch mit dem deutschem Recht vereinbar bewertet.

Cybersicherheit in der Schweiz braucht einen besseren rechtlichen Rahmen
Von Markus Christen, Melanie Knieps und Reto Inversini
Cybersicherheit ist eine komplexe globale Herausforderung, die nicht einfach „gelöst“ werden kann, sondern ständige Aufmerksamkeit und gezielte Massnahmen auf vielen Ebenen erfordert. Obwohl in der Schweiz viel Fachwissen im Bereich der Cybersicherheit vorhanden ist, ist dieses auf diverse öffentliche, private und akademische Einrichtungen verteilt. Viele Cybersecurity-Fachleute sehen deshalb nur einen Teil des Ganzen. Erschwert wird diese Situation durch Unklarheiten rechtlicher Art, welche etwa eine effektive Bekämpfung der Cyberkriminalität erschweren. Ein laufendes Forschungsprojekt der Universitäten Lausanne und Zürich sucht Lösungsansätze für diese Herausforderungen.

 

_________________________

Kriminalistik Campus

Redaktion: Prof. Dr. Sigmund P. Martin, LL.M. (Yale), Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Kriminalpolizei, Wiesbaden

Aufrüstung in der rechtsextremen Szene?
Eine Analyse von Zugangsmöglichkeiten zu Schusswaffen in Zeiten des Akzelerationismus
Von Finn Bernhard Marienfeld
In den letzten zwei Jahren erschütterte eine Reihe rechtsextremistisch motivierter Anschläge die westlichen Demokratien. Darunter auch zwei Anschläge in Deutschland, einer am 9.10.2019 und einer am 19.2.2020, die insgesamt zwölf unschuldige Opfer forderten. Zur Begehung der Taten wurden in beiden Fällen Schusswaffen verwendet. Der Zugang zu Schusswaffen ist in Deutschland gesetzlich sehr streng geregelt, so dass viele Deutsche in ihrem Leben noch nie Berührungspunkte mit einer Schusswaffe gehabt haben. Wie ist es demnach möglich, dass Rechtsextremisten an Schusswaffen gelangen? Mit einer einfachen technischen Abhandlung über das Erlangen von Schusswaffen ist es jedoch noch nicht getan, auch der weitere ideologische Kontext, in den die rechtsextremistischen Akteure eingebettet sind, muss betrachtet werden. Daher nimmt der Aufsatz Bezug auf den Akzelerationismus, einer aktuell dominanten Strömung innerhalb des Rechtsextremismus. Der Akzelerationismus ist eine moderne politische Theorie, die in ihrem Kern davon ausgeht, dass der Kapitalismus und solche Prozesse, die ihm zuzuordnen sind, beschleunigt werden müssen, um einen grundlegenden Gesellschaftswandel zu erreichen. Als Unterfrage wird untersucht, welchen Einfluss der Akzelerationismus und akzelerationistische Akteure auf die Prozesse, die mit dem Erlangen einer Schusswaffe und der Begehung einer rechtsterroristischen Tat verbunden sind, haben.


Rechtliche und kriminalistische Herausforderungen bei der Bekämpfung von Kryptogeldwäsche
Von Carolin Tanneberger und Roland Hoheisel-Gruler
Kryptowährungen sind digitale Zahlungsmittel, die auf kryptografischen Technologien basieren. Obwohl sie während der Finanzkrise im Jahre 2008 mit der Idee geschaffen wurden, ein von Banken unabhängiges, dezentrales Zahlungsnetzwerk zu schaffen, blieb die große Revolution der Finanzbranche aus. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kryptowährungen inzwischen einen beträchtlichen Wert repräsentieren. Anhand aktueller Umrechnungskurse haben die über 8.000 verschiedenen Kryptowährungen einen Gesamtwert von über 2,16 Billionen Euro (Stand: 4.4.2022). Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese auch für kriminelle Aktivitäten ein interessantes Betätigungsfeld darstellen.

 

_________________________

Recht aktuell

Totschlag durch Unterlassen
1. Aus der Beistands-und Rücksichtspflicht von Eltern und Kindern untereinander (§ 1618a BGB) können sich Garantenpflichten i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB ergeben.
2. Die in § 1618a BGB normierte familiäre Solidarität begründet schon von Gesetzes wegen im Eltern-Kind-Verhältnis bei faktischem Zusammenleben in aller Regel eine gegenseitige Schutzpflicht, die als Garantenpflicht ein Handeln zur Gefahrenabwehr gebietet.
3. Eine Mitübernahme von Pflichten durch einen Dritten lässt die Garantenstellung des bisherigen Garanten grundsätzlich unberührt.
4. Ursächlichkeit liegt bei Unterlassungsdelikten vor, wenn bei Vornahme der pflichtgemäßen Handlung der tatbestandsmäßige Schadenserfolg mit dem für die Bildung der richterlichen Überzeugung erforderlichen Beweismaß mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre.
5. Ebenso wie der Totschlag durch Unterlassen aufgrund der unterbliebenen Rettung der geschädigten Person vor dem Erfrieren nicht durch deren möglicherweise krankheitsbedingt ohnehin eingetretenen Sterbeprozess ausscheidet, entfällt auch das vorher verwirklichte konkrete Gefährdungsdelikt nicht deshalb, weil eine andere Gefahr sich später hätte realisieren können
6. Hinsichtlich der hypothetischen Kausalität genügt bedingter Vorsatz dahin, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Eingreifen könne den Erfolg abwenden.
7. In einer hilflosen Lage befindet sich diejenige Person, die einer potenziellen Gefahr für Leib oder Leben ohne die Möglichkeit eigener oder fremder Hilfe ausgesetzt ist.

BGH, Urt. v. 29.9.2021
2 StR 491/20
jv

 

„Nein heißt nein“ beim sog. Stealthing
1. § 177 Abs. 1 StGB schützt die sexuelle Selbstbestimmung. Diese umfasst das individuelle Recht, über Partner, Zeitpunkt, Form und Art sexueller Aktivitäten nach eigenem Belieben zu entscheiden.
2. Werden während des Geschlechtsverkehrs absprachewidrig heimlich ein Kondom abgezogen und im Anschluss ungeschützt sexuelle Handlungen vollzogen, so ist der Tatbestand der sexuellen Nötigung gem. § 177 Abs. 1 StGB regelmäßig erfüllt; dies gilt auch für die Fälle bei denen es nicht zum Eindringen in den Körper des Opfers und/oder nicht zu einem Samenerguss kommt.

BayObLG München, Beschl. v. 20.8.2021
206 StRR 87/21
bb

 

_________________________

Literatur

Konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang mit Opfern
M. Carolin Blum, Opferschutz und Opferhilfe. Handlungsempfehlung für die Polizeiarbeit, Kriminalistik Verlag, C.F. Müller GmbH Heidelberg, 2021, 149 Seiten, Buch flexibler Einband, auch als E-Book erhältlich, 26 Euro
M. Carolin Blum befasst sich in ihrem Buch „Opferschutz und Opferhilfe“ auf 135 Seiten und aufgeteilt in 7 Kapitel mit dem Thema Opferschutz und Opferhilfe aus polizeilicher Sicht. Das Buch richtet sich explizit an Akteurinnen und Akteure in der Polizei sowie an Polizeianwärter/ innen. Die Autorin spannt das Themenfeld Legalitätsprinzip (Strafverfolgungszwang), sekundäre Viktimisierung und Opferschutz als zentrale polizeiliche Themen auf. Im Zentrum steht das Spannungsfeld von Opferschutz vs. Legalitätsprinzip. Aufgrund des Legalitätsprinzips ist die Polizei nicht befugt, sich ausschließlich an den Bedürfnissen von Opfern zu orientieren, die sich möglicherweise mit der Erwartung von Hilfe und Beistand an die Polizei wenden, aber (noch) nicht zu einer Anzeige bereit sind. Aus Sicht der Autorin droht dann die sekundäre Viktimisierung des Opfers durch die Polizei, weil die Anforderung, das Legalitätsprinzip zu beachten, für die Polizei verpflichtend ist und das Bedürfnis des Opfers dahinter zurückstehen muss. Gleichzeitig ist Opferschutz jedoch Aufgabe eines jeden Polizeibeamten und einer jeden Polizeibeamtin. Die Auseinandersetzung mit diesem Dilemma ist der rote Faden des Buchs.
Ein weiteres Themenfeld, welches die Autorin aufmacht, ist das Selbstverständnis der Polizei im Sinne von „Cop Culture“, in der sie die „Krieger-Männlichkeit“ als prototypische Figur der Polizistenkultur beschreibt. Die „Krieger-Männlichkeit“ sieht das „Jagen“ als ihre zentrale Aufgabe, was der Strafverfolgung entspricht. Die zweite Säule polizeilicher Arbeit neben der Strafverfolgung, die Gefahrenabwehr (das „Schützen“), kommt dabei potenziell zu kurz. Hieraus erklärt sich aus Sicht der Autorin eine potenzielle Benachteiligung des Opferschutzes und regt, in Anlehnung an EU-Strategien, die Notwendigkeit eines „Neu- bzw. Umdenkens“ innerhalb der Polizei an.
Die Autorin legt die juristischen Hintergründe sowie die historische Entwicklung der Thematik ausführlich dar und entwickelt mögliche Ansätze, um dieses Spannungsfeld zu lösen. Als mögliche konkrete Auswege entwirft sie die Konzepte des „Haus des Opferschutzes und der Opferhilfe (HdOO)“ sowie die „Opfer-Hilfe-App (OHA)“. Beides existiert – soweit ersichtlich – in der Realität noch nicht. Im HdOO geht es primär um die Auflösung des Spannungsfelds von Legalitätsprinzip und Opferschutz durch entsprechende räumliche und organisatorische Maßnahmen. Die OHA stellt eine Optimierung der Zugänglichkeit von Informationen für Opfer dar.
Das Buch thematisiert auch die strukturelle Einbindung des Opferschutzes in der Polizeiarbeit. Es finden sich darüber hinaus konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang mit Opfern (S. 126). Die Notwendigkeit, die Thematik bundesweit in die polizeiliche Ausbildung einzubringen, wird ebenfalls diskutiert.
Das Spannungsfeld von Legalitätsprinzip, dem die Polizei unterliegt, die daraus resultierende Gefahr der sekundären Viktimisierung von Opfern und die Probleme und Widersprüche, die sich hieraus ergeben, werden in dem Buch aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder beleuchtet. Die Konzepte der tatsächlichen Umsetzung aktiven Opferschutzes in der Polizei bleiben in theoretischen Modellen verhaftet. Das möglicherweise Entscheidende für die polizeiliche Arbeit findet sich eher versteckt im Text: die Notwendigkeit regionaler Vernetzung aller Akteure innerhalb und außerhalb der Polizei im Bereich Opferschutz und Opferhilfe sowie die konkreten Empfehlungen zum Umgang mit Opfern im direkten persönlichen Kontakt.

Tanja Kramper und Angelika Treibel,
Heidelberg

 

Ein vorbildliches Lernbuch
Bijan Nowrousian/Luca Bahne, Strafrecht für die Polizei, Kompaktlehrbuch mit Praxistipps, Boorberg Verlag Stuttgart, 1. Aufl. 2022, Stuttgart, 428 S., 26,80 Euro
Der Titel „Strafrecht für die Polizei“ sollte eigentlich „Strafrecht für die Polizeiausbildung“ lauten. Denn auf Ausbildung ist das Buch angelegt und hier spielt es seine Stärken aus. Es bietet eine exzellente Einführung sowohl in die wichtigsten inhaltlichen Grundlagen des Strafrechts wie in die Methodik der Fallbearbeitung, wie man sie insbesondere für Klausuren an Polizeihochschulen oder Polizeiakademien benötigt.
Was man allerdings nicht erwarten darf, ist ein Buch, das das ganze strafrechtliche Wissen, das man während seiner Ausbildung erwerben sollte, abbildet. Die einzelnen Straftatbestände, die im dritten Teil des Buches besprochen werden, decken zwar die wichtigsten Straftatbestände aus dem Besonderen Teil (BT) des Strafrechts ab, doch sind zum einen nicht alle wichtigen Straftatbestände erfasst und zum anderen werden die abgebildeten Straftaten in unterschiedlicher Tiefe behandelt. So ist die Darstellung der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, der Eigentums- und Vermögensdelikte sowie der Urkundendelikte wesentlich detaillierter als die Besprechung der Sexualdelikte, der Delikte gegen die Rechtspflege, der Korruptionsstraftaten und der Straftaten aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Auch wer für Hausarbeiten nach der Darstellung von Meinungsstreitigkeiten mit einer Vielzahl von Belegen sucht, ist mit einem traditionelleren Lehrbuch speziell zum BT besser bedient.
Wer aber einen ersten Zugang zum Strafrecht, einen Überblick über die wichtigsten Probleme des Strafrechts Allgemeiner Teil (AT), einen Einstieg in die Methodik der Bearbeitung von Strafrechtsfällen sucht und dabei nicht nur mit trockener Dogmatik konfrontiert werden will, sondern auch einen Ausblick auf den Nutzen dieses Wissens in der späteren polizeilichen Arbeit erlangen möchte, der stößt hier auf ein vorbildliches Lernbuch, mit dem ein optimaler Zugang zum „Strafecht für die Polizei“ ermöglicht wird. Das Grundkonzept des Buches besteht – wie die Verfasser des Buches in ihrem Vorwort darlegen – darin, einerseits einen Text zum erstmaligen Erlernen des gesamten strafrechtlichen Stoffes für das polizeiliche Studium – meist anhand geschickt ausgewählter Fälle – zu liefern und dies andererseits mit Ausblicken auf die polizeiliche Praxis, die in sog. Praxisboxen, die vom normalen Text abgesetzt sind, zu ergänzen. So erfährt man z. B. in der Praxisbox zum Computerbetrug, dass sich die Straftat des Computerbetrugs nicht zu 100% mit dem deckt, was bei der Polizei unter „Cybercrime firmiert“. Dieser praktische Hinweis vertieft zugleich das Verständnis der Grundabgrenzung von Betrug und Computerbetrug: Für § 263a StGB ist maßgeblich, ob der Adressat des Täterhandelns ein Mensch ist und nicht, ob ein Computer das Tatwerkzeug darstellt.
Indem das Buch bei der Darstellung des Strafrecht AT und der wichtigsten Strafnormen in der polizeilichen Praxis der Gesetzesauslegung durch die Rechtsprechung folgt, werden die Studierenden nicht mit einer oft irritierenden praxisfernen Vielzahl von Theorien der vermeintlich herrschenden Lehre konfrontiert, wie dies oft in juristischen Lehrbüchern passiert, sondern mit der Auslegung des Rechts, wie sie es später anzuwenden haben. Dennoch wird aber – insbesondere bei der Darstellung des Streitstand zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung – ausführlich die Methodik vermittelt, mit der man komplexeMeinungsstreitigkeiten im Strafrecht entscheiden kann. Wer dieses Lernbuch intensiv durcharbeitet, wird – ohne sich zu langweilen – das für die polizeiliche Tätigkeit erforderliche Kernwissen erwerben und in der Lage sein, mit weiteren – nicht im Buch enthaltenen – Fallkonstellationen zurecht zu kommen und diese einer angemessenen Lösung für die Praxis zuzuführen.

Prof. Sigmund P. Martin, Wiesbaden

 

Eine besondere Empfehlung
Annette Marquardt/Carola Oelfke, Basiswissen Strafprozess für Polizeibeamte – Mit praktischen Beispielen, Kohlhammer Verlag Stuttgart, 1. Aufl. 2022, 359 S., 34 Euro
Der Buchtitel klingt bieder. Er hinterlässt keinen Anfangsverdacht für Dinge, die bei professionellen Ermittlern Interesse an der Lektüre wecken könnten. Basiswissen, nun ja. Hellhörig macht freilich der Name der Autorinnen. Dr. Annette Marquardt und Carola Oelfke sind seit langem nicht nur als hochgradig versierte, engagierte und couragierte Staatsanwältinnen, sondern weit über ihren Einsatzort Verden hinaus als Premiumdozentinnen in der niedersächsischen Polizeiausbildung bekannt. Und nicht allein das. Seit bereits einem Jahr haben beide auch einen Stammplatz im BDK-Monatsmagazin „der kriminalist“ inne, wo sie es schaffen, das nicht minder biedere Thema „Belehrungspflichten gemäß StPO“ so gekonnt und unterhaltsam zu vermitteln, dass die professionelle Leserschaft jubelt.
Nun also gewissermaßen das Buch zur Serie. In ihm behandeln die Autorinnen mit gleicher Leidenschaft einen weiteren, ebenfalls magazintauglichen und selbst für Strafjuristen ungemein spannenden Komplex: „Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht“. Zu diesen benannten Schwerpunkten gesellen sich gestalterisch eher abrundende Kapitel über Grundlagen des Ermittlungs- und Strafverfahrens, strafprozessuale Eingriffe (Durchsuchung, körperliche Untersuchung, Sicherstellung, Beschlagnahme, Identitätsfeststellung, vorläufige Festnahme) sowie zur Aktenführung. Der Clou liegt auch hier weniger in dem, was die Autorinnen sagen, sondern vor allem darin, mit welchem Anspruch und wie sie es tun. Obwohl sie es sicher könnten, verzichten beide laut Vorwort ganz bewusst darauf, „schwierige Rechtsfragen“ mit der gebotenen wissenschaftlichen Tiefe darzustellen. Ihre insgesamt 560 Fußnoten zieren meist nur singuläre Hinweise auf straf- oder strafprozessrechtliche Standardkommentare und einschlägige Gerichtsentscheidungen. Stattdessen gilt: Praxis, Praxis, Praxis.
Aufgrund ihrer Erfahrung kennen die Autorinnen die alltäglichen Unsicherheiten, Verständnisprobleme und Fehlerquellen von Polizeibeamten genau. Der Leser wird deshalb geradezu überhäuft von realen Fallbeispielen, Musterverfügungen, Formulierungsvorschlägen, Handlungstipps, Checklisten, Prüfungsschemata und nützlichen Faustformeln. Zum didaktischen Rüstzeug jedes Abschnitts zählen fernerhin stichwortartige Merkkästen, die einen raschen Überblick über das Erlernte ermöglichen. Außerdem nutzen die Autorinnen eine unter Juristen durchaus seltene, herzerfrischend klare Sprache (Arbeit für die Tonne, Schlimmer geht immer), mit der sie sich stets direkt an den Empfänger wenden (Richtig/Falsch? Bedenken? Hätten Sie’s gewusst? Aufgepasst!). Auf diese Weise entsteht ein geschickt angelegter, fortwährend inspirierender Gedankenaustausch – leider auch mit dem unvollkommenen eigenen Basiswissen.
Von daher abschließend noch ein Wort zur Zielgruppe. Auch hier liegen die Autorinnen im Prinzip goldrichtig, indem sie sich primär an Studierende richten. Gerade im Bereich strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen klafft im juristischen und polizeipraktischen Schrifttum eine große Lücke, weil traditionelle Werke entweder zu sehr auf das Gerichtsverfahren oder bei der Erörterung polizeipraktischer Fragen zu wenig auf das Recht achten. Die Autorinnen hingegen bilden den Lernstoff genau so ab, wie es für die Ausbildung an einer Hochschule oder Polizeiakademie erforderlich ist. Mit dieser Sicherheit könnten und sollten bei Bedarf auch professionelle Ermittler ihr Basiswissen auffrischen und sich über wichtige Rechtsänderungen informieren.
Daneben bliebe zu wünschen, dass sich möglichst jeder junge Staatsanwalt auf der Suche nach einem schnellen, kurzweiligen und effektiven Einstieg in die Eildienst- und operative Ermittlungstätigkeit das literarische Kompendium der sympathischen Kolleginnen aus Verden gönnt, ebenso der potentielle „Staatsanwalt als Zeuge vor Gericht“ oder derjenige, der Beschuldigte belehren und vernehmen muss, erst recht derjenige, der im konstruktiven Austausch mit polizeilichen Ermittlungspersonen erfolgreich sein will.
Das Werk eignet sich sowohl zum gezielten Nachschlagen wie zum lehrreichen Schmökern. Es mag vielleicht an manchen Stellen noch geringe redaktionelle Schwächen haben. Gleichwohl gebührt ihm eine besondere Empfehlung.
Generalstaatsanwalt

Dr. Jörg Fröhlich, Hamburg
Prof. Sigmund P. Martin, Wiesbaden


Verlag C.F. Müller

zurück zur vorherigen Seite