Geldwäsche
Deutschland als geprügelter Hund oder sind „wir doch noch ganz gut durchgerutscht?“
Anmerkungen zum Deutschlandbericht der FATF (Teil Geldwäsche) und zu den Plänen für ein Bundesfinanzkriminalamt
Von Jörg Lehnert
Russland-Ukraine-Krieg
Der Krieg in der Ukraine
Folgen für Deutschland und Europa/Teil 4: Folgen für die Äußere und die Innere Sicherheit Deutschlands und Europas
Von Stefan Goertz
Gewaltdelikte und Rechtsmedizin
Der Gewalt auf der Spur?
Das Potenzial einer schema-basierten Einbeziehung der Rechtsmedizin in das Ermittlungsverfahren bei Gewaltstraftaten gegen lebende Opfer
Von David Grasmann
Sicherheitsmanagement
Grenzüberschreitender polizeilicher Datenaustausch in der Europäischen Sicherheitsunion
Neue Regelungen, neue Möglichkeiten – und alte Schranken
Von Trygve Ben Holland, Sarah Holland, Gabriela Piontkowski und Prof. Dr. Arthur Hartmann
Erkennungsdienstliche Behandlung
Die Erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81b StPO 546
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816
Von Michael Soiné
Opferschutz
Das Gesetz über die Beauftragte oder den Beauftragten für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW)
Von Manfred Reuter
Spezialverband GSG 9
Fünfzig Jahre GSG 9 der Bundespolizei
Ein Resümee
Von Bernd Walter
Kriminalgeschichte
Die „GSG 9 der DDR“
Die Diensteinheit IX des Ministeriums des Innern
Von Dr. Christian Herrmann
Kriminalistik-Schweiz
Ein Vorschlag zur methodischen Aktualisierung der Beweiswürdigung in aussagenpsychologischen Gutachten
Von Henriette Haas
Kriminalistik-Campus
Ziviler Ungehorsam
und seine aktuelle kriminalistische Bedeutung
Von Malte Buhse
Hasskriminalität zum Nachteil von Obdachlosen
Probleme der polizeilichen Erfassung und mögliche Interventionsstrategien am Beispiel des Landes Berlin
Von Jakob Müller
Recht aktuell
Zu den Voraussetzungen und Grenzen erkennungsdienstlicher Anordnungen
Anbringung eines Strafantrags mittels „einfacher“ E-Mail
Literatur
An Aktualität und Informationsdichte nicht zu schlagen
Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen
Die deutsche Prostitutionsgesetzgebung in der Kritik
Paulus, Zuhälterei gestern und heute
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Fachartikel
Deutschland als geprügelter Hund oder sind „wir doch noch ganz gut durchgerutscht?“
Anmerkungen zum Deutschlandbericht der FATF (Teil Geldwäsche) und zu den Plänen für ein Bundesfinanzkriminalamt
Von Jörg Lehnert
Der mit Spannung erwartete Bericht der Financial Action Task Force (FATF) über den Stand der Geldwäschebekämpfung und der Verhinderung von Terrorismusfinanzierung wurde am 25.8.2022 veröffentlicht. Zeitgleich dazu stellte Bundesfinanzminister Lindner ein Konzept vor, mit dem auf die von der FAFF bemängelten Defizite in der Geldwäschebekämpfung (und der Verhinderung von Terrorismusfinanzierung) reagiert werden soll. Der Minister plant einen Totalumbau großer Teile der deutschen Sicherheitsarchitektur. Was soll ein Praktiker der Geldwäscheaufsicht davon halten? Was steht im FATF Bericht und wie sehen die Lehren aus, die Herr Lindner daraus ziehen will?
Der Krieg in der Ukraine
Folgen für Deutschland und Europa/Teil 4: Folgen für die Äußere und die Innere Sicherheit Deutschlands und Europas
Von Stefan Goertz
Dieser Beitrag ist Teil 4 einer Serie über den Krieg in der Ukraine und seine Folgen für Deutschland und Europa. Folgen auf den Ebenen Innere Sicherheit, Sicherheitspolitik in Form einer Überschneidung von Äußerer und Innerer Sicherheit, Flüchtlinge, Energiesicherheit, wirtschaftliche Folgen mit potenziellen Konsequenzen wie Populismus, Radikalismus und Extremismus in Deutschland sowie eine potenziell neue Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas. In diesem vierten Teil liegt der Schwerpunkt der Analyse auf den Folgen des Krieges in der Ukraine für die Äußere und die Innere Sicherheit Deutschlands und Europas.
Der Gewalt auf der Spur?
Das Potenzial einer schema-basierten Einbeziehung der Rechtsmedizin in das Ermittlungsverfahren bei Gewaltstraftaten gegen lebende Opfer
Von David Grasmann
Allein für das Jahr 2020 wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 176.672 Fälle von Gewaltkriminalität registriert, wovon, trotz intensiver Ermittlungsarbeit, nur etwa 80% durch die Strafverfolgungsbehörden aufgeklärt werden konnten. Trotz des damit niedrigen einstelligen Anteils an der jährlich erfassten Gesamtkriminalität haben Gewaltstraftaten, aufgrund ihres hohen gesellschaftlichen und individuellen Schädigungspotenzials, eine große Relevanz für die Strafverfolgung und Kriminalitätsbekämpfung. Während jedoch die Einbeziehung der (Rechts)Medizin als forensische Bezugswissenschaft bei Todesermittlungen durch die gesetzlich vorgeschriebene Leichenschau obligatorisch ist, fehlt ein vergleichbarer Mechanismus für eine standardisierte Untersuchung von (über)lebenden Gewaltopfern und potenziellen Täter*- innen aktuell nahezu noch komplett. Vor dem Hintergrund, dass vor allem in all jenen Fällen, in denen es an alternativen Beweisen mangelt, insbesondere die rechtsmedizinische Arbeit maßgeblich zur Entscheidungsfindung der Strafverfolgungsbehörden bzw. der Gerichte beitragen kann und die Anzahl an lebenden Gewaltopfern um ein Vielfaches höher ist als die der Toten, erscheint eine wissenschaftlich fundierte Standardisierung dieser Zusammenarbeit mehr als zielführend.
Grenzüberschreitender polizeilicher Datenaustausch in der Europäischen Sicherheitsunion
Neue Regelungen, neue Möglichkeiten – und alte Schranken
Von Trygve Ben Holland, Sarah Holland, Gabriela Piontkowski und Prof. Dr. Arthur Hartmann
Als Mitglied eines internationalen Konsortiums untersucht und testet das Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung (IPoS) der Hochschule für Öffentliche Verwaltung (HfÖV) Bremen im Rahmen eines aus dem Fonds für die innere Sicherheit (ISF) der Europäischen Union (EU) finanzierten Projektes1 im Zeitraum 2021– 2023 eine – zumindest in Italien von den Strafverfolgungsbehörden gegenwärtig genutzte – IT-Anwendung für den polizeilichen Austausch von Informationen. Es wird zuvörderst untersucht, ob und ggf. zu welchen Bedingungen diese Anwendung für den grenzüberschreitenden Austausch polizeilich erheblicher Daten innerhalb des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) nutzbar gemacht werden kann. Hiermit einher geht die Entwicklung eines Datenschutzkonzeptes, das in sämtlichen Mitgliedstaaten des RFSR Anwendung finden könnte und im Lichte der anstehenden neuen datenschutzrechtlichen Bestimmungen auf die EU-Ebene selbst übertragbar sein würde.
Die Erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81b StPO
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816
Von Michael Soiné
Der Beitrag erörtert die mit dem Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 in Kraft getretenen Neuregelungen in § 81b StPO. Die Verordnung ist eingebunden in die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen im Bereich Justiz und Inneres (ECRIS, ECRIS-TCM), mit der insbesondere die korrekte Identifizierung von Personen erleichtert und dem Identitätsbetrug entgegengewirkt werden soll. Auf diese Weise sollen die zuständigen nationalen Behörden in den Bereichen Sicherheit, Grenzmanagement und Migrationssteuerung sowie Visabearbeitung und Asylgewährung unterstützt werden.
Das Gesetz über die Beauftragte oder den Beauftragten für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW)
Von Manfred Reuter
Seit 2017 gab es in NRW das Amt einer/eines unabhängigen Beauftragten für den Opferschutz des Landes. Die dazu ergangene rechtliche Regelung war eine Allgemeine Verfügung des Ministeriums der Justiz. Die Opferschutzbeauftragte diente seitdem mit ihrem Team als zentrale und unmittelbare Anlaufstelle für alle Opfer von Straftaten und ggf. auch für ihre Angehörigen. Mit dem Gesetz über die Beauftragte oder den Beauftragten für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) wird das Amt nunmehr auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Der Aufsatz geht kurz auf den Opferschutz und das Opferschutzteam in NRW ein, skizziert das Gesetzgebungsverfahren, stellt die rechtlichen Bestimmungen des Gesetzes vor und erläutere sie. Das Gesetz etabliert das Amt dauerhaft und definiert seine Rahmenbedingungen. Es umschreibt die zugewiesenen Aufgaben der Informationsfunktion, Lotsenfunktion, Koordinierungsfunktion, Unterstützungsfunktion und Zusammenarbeitsfunktion. Das Gesetz enthält die Befugnisse zur Datenverarbeitung und die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, legt Berichtspflichten fest und normiert sein Inkrafttreten sowie seine Evaluierung. Insgesamt erscheint es sinnvoll und gelungen. Dies zeigt sich sicherlich auch daran, dass es mit den Stimmen der Regierung und der Opposition im Landtag einstimmig beschlossen wurde.
Fünfzig Jahre GSG 9 der Bundespolizei
Ein Resümee
Von Bernd Walter
Die im Jahre 1972 als Antwort auf den Anschlag arabischer Terroristen auf die israelische Olympiamannschaft während der Olympischen Spiele in München aufgestellte GSG 9 der Bundespolizei mit Standorten in St. Augustin bei Bonn und Berlin ist ein Spezialverband zur weltweiten Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Gewaltkriminalität. Sie konnte am 26. September des Jahres auf ihr fünfzigjähriges Bestehen zurückblicken, in der über 2.000 Einsätze bewältigt wurden, aber auch vier Polizeibeamte auf tragische Weise ums Leben kamen. Der Beitrag soll den Stellenwert in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands verdeutlichen.
Die „GSG 9 der DDR“
Die Diensteinheit IX des Ministeriums des Innern
Von Dr. Christian Herrmann
Während die GSG 9 BPOL sich breiter Bekanntheit erfreut, ist in der deutschen Öffentlichkeit wenig bekannt, dass nicht nur im westlichen Teil Deutschlands eine polizeiliche Spezialeinheit bestand. Auch die DDR hatte eine zumindest in vielen Aspekten ähnliche Einheit: Die Diensteinheit IX des Ministerium des Innern (MdI). Im folgenden Beitrag soll diese weitgehend im Schatten stehende Einheit in mehreren Schritten vorgestellt werden und damit ein Beitrag zur Polizeigeschichte des östlichen Deutschland geleistet werden. Zu häufig steht, auch in der Polizeiausbildung, die Geschichte der Polizei im Nationalsozialismus (Ordnungspolizei) im Fokus, ohne dass polizeiliche Strukturen in einem sozialistisch verfassten deutschen Staatswesen wie der DDR (Volkspolizei) thematisiert werden. Der Beitrag nimmt zunächst die Entstehung der Diensteinheit IX in den Blick, bevor auf Ausbildung, Struktur und Ausrüstung fokussiert wird. Hiernach erfolgt der Blick in die Praxis und es werden einige Einsätze thematisiert, bevor sich der Autor dem Zusammenbruch der DDR 1989 und damit auch dem Ende der Diensteinheit IX zuwendet. Die Quellenlage zur Erstellung dieses Aufsatzes ist als schwierig zu bezeichnen, auch eine Monografie liegt bisher nicht vor, was umso mehr zur Vorstellung dieser „GSG 9 der DDR“ Ansporn sein sollte.
Ein Vorschlag zur methodischen Aktualisierung der Beweiswürdigung in aussagenpsychologischen Gutachten
Von Henriette Haas
Der Expertenstreit zwischen Vertreter:innen der Rechtspsychologie und denen der Psychopathologie, der hier einführend dargelegt wird, verweist auf ein grundsätzliches Problem in der gerichtlichen Beweiswürdigung bei einem Schuldspruch. Es ist dasjenige zwischen der Beweislast für die Schuld (in Abwesenheit einer relevanten Beweislast für die Unschuld) einerseits und dem Schätzen einer Irrtumswahrscheinlichkeit andererseits. Die aktuelle kriminalistische Sichtweise, die hier eingeführt und vertreten wird, kennt die Bestimmung der Beweislast in beide Richtungen (Anklage und Verteidigung), die zudem geeignete Erwägungen zur Kombination verschiedener Beweismittel ermöglicht. Veraltet, weil nicht durchführbar, ist hingegen der Ansatz, der meinte, man könne (und müsse) bei einem Schuldspruch das Irrtumsrisiko abschätzen und minimal halten. Hier geht es um eine Einführung in die neue Denkweise der sog. New Evidence Scholarship. Sie bietet eine dialektische Aufhebung der psychologischen Kontroverse, ohne dass die mehrheitlich bewährten Methoden der Aussagenpsychologie über Bord geworfen werden müssten. Aus Platzgründen kann diese Einführung in die Thematik jedoch weder eine Anleitung für jeden Einzelfall liefern und noch die erforderliche Weiterbildung in eine neue wissenschaftliche Methode ersetzen.
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Kriminalistik Campus
Redaktion:
Joachim Faßbender, Kriminaldirektor im Hochschuldienst, Leiter Fachgebiet „Kriminalistik – Phänomenbezogene Kriminalstrategie“, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster
Prüfungsleistungen des Moduls „Kriminalität – Phänomen, Intervention und Prävention“ des Masterstudiengangs „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ an der Deutschen Hochschule der Polizei in Gestalt von Hausarbeiten haben regelmäßig aktuelle Themen von kriminalstrategischer und auch polizeipraktischer Relevanz zum Gegenstand. Die in dieser Ausgabe veröffentlichten Arbeiten befassen sich mit zeitgemäßen Themen aus dem Bereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK).
Politischer Protest zeigt sich in vielfältigen Formen, häufig auch in normverletzender Weise bis hin zur Verübung schwerster Straftaten. Proteste zielen in der Regel darauf ab, den politischen Willensbildungsprozess im Sinne der eigenen Auffassungen zu beeinflussen. Dementsprechend bedürfen Normverletzungen der Rechtfertigung – sowohl im Sinne der inneren Überzeugung der Handelnden als auch gegenüber Gleichgesinnten und der zu überzeugenden Zielgruppe. Je schwerwiegender die Normverletzung – insbesondere gegen Personen gerichtete Straftaten – desto höher sind die Anforderungen an eine Rechtfertigung. Gelingt diese, erscheinen selbst schwerste Straftaten vermittelbar. Dies kann insbesondere dann gelingen, wenn die Rechtfertigung mit Hilfe der Gegenüberstellung mindestens gleichwertiger Rechtsgüter erfolgt. So könnten beispielsweise vor dem Narrativ der Bedrohung der Lebensgrundlage der gesamten Menschheit durch die Klimaerwärmung die Rechtfertigung auch schwerster Straftaten gegen vermeintlich Verantwortliche Erfolg haben. Es lohnt also die Auseinandersetzung mit aktuellen und gängigen Begründungen von Normverletzungen. Mit der Rechtfertigungsstrategie des „zivilen Ungehorsams“ greift Malte Buhse eine der gängigsten Strategien der Legitimation auf und beleuchtet in einer Annäherung die komplexe Thematik am Beispiel des Protestgeschehens um den G 20 im Hamburg im Jahre 2017, ordnet den Begriff systematisch ein und fragt nach der kriminalistischen Bedeutung.
Eine ebenso gesellschaftliche wie auch kriminalistische Bedeutung kann der Hasskriminalität nicht abgesprochen werden. Ganz im Gegenteil. Es handelt sich um ein Phänomen, welches die Strafverfolgungsbehörden nicht erst seit Einführung der sog. „sozialen Medien“ beschäftigt, sich jedoch durch diese zunehmend virulent – sowohl im Sinne von gefährlich als auch im Sinne von um sich greifend – entwickelt, wie die Fallzahlenentwicklung seit 2014 aber auch die Anstrengungen zur Bekämpfung des Phänomens eindrucksvoll belegen. Ist die mit Hilfe „sozialer Medien“ begangene Hasskriminalität als solche häufig eindeutig erkennbar, fällt dies bei im öffentlichen Raum begangenen Straftaten oftmals schwerer. Mit der Problematik der Detektion und statistischen Erfassung vorurteilsgeleiteter Straftaten gegen Obdachlose und diesbezüglichen Möglichkeiten der Optimierung befasst sich Jakob Müller am Beispiel des Landes Berlin. Dabei begründet er nachvollziehbar die Vermutung eines hohen Dunkelfeldes, stellt die besondere Vulnerabilität der Opfer heraus und gibt Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der statistischen Erfassung.
Ziviler Ungehorsam
Und seine aktuelle kriminalistische Bedeutung
Von Malte Buhse
Hasskriminalität zum Nachteil von Obdachlosen
Probleme der polizeilichen Erfassung und mögliche Interventionsstrategien am Beispiel des Landes Berlin
Von Jakob Müller
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Recht aktuell
Zu den Voraussetzungen und Grenzen erkennungsdienstlicher Anordnungen
1. Die Vorschrift des § 81b Alt. 1 StPO genügt den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normklarheit und Justitiabilität.
2. Erlaubt sind außer den im Tatbestand ausdrücklich angeführten Maßnahmen – Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken, Vornahme von Messungen – nicht schlechthin andere Maßnahmen, sondern nur solche, die den genannten ähnlich sind.
3. Die Maßnahmen nach § 81b Alt. 1 StPO müssen den Zwecken der Durchführung des Strafverfahrens dienen und im Rahmen dieser Zweckbestimmung notwendig sein.
4. Voraussetzung des § 81b Alt. 1 StPO ist, dass gegen den Betroffenen ein Strafverfahren geführt wird und gegen ihn ein Anfangsverdacht i. S. d. § 152 Abs. 2 StPO besteht. Zudem müssen die einzelnen Maßnahmen jeweils für den Zweck der Durchführung des Strafverfahrens konkret notwendig sein.
BVerfG, Beschl. v. 29.7.2022
2 BvR 54/22
jv
Anbringung eines Strafantrags mittels „einfacher“ E-Mail
1. Ein elektronisches Dokument, für das die Schriftform gilt, muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gesendet werden. Diese Vorgabe gilt auch für Strafanträge, wenn sie als elektronisches Dokument eingereicht werden.
2. Ein Strafantrag kann demgemäß nicht wirksam mittels einer einfachen E-Mail angebracht werden, weil dieser Übertragungsweg die durch § 158 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Schriftform nicht erfüllt. Dies gilt auch für Strafanträge, die von Behörden gestellt werden.
BGH, Beschl. v. 12.5.2022
5 StR 398/21
jv
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Literatur
An Aktualität und Informationsdichte nicht zu schlagen
Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 69. Aufl. 2022, 2912 S., geb., C. H. Beck Verlag München, 99 Euro
Der Kommentar aus der Feder des Rechtsanwalts und Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof a. D. Thomas Fischer erscheint wie üblich ein Jahr nach der Vorauflage. Die aktuelle Auflage befindet sich auf dem Gesetzesstand vom 1. November 2021. Anlass für die die Neubearbeitung waren nicht zuletzt etliche Gesetzesänderungen bzw. Neufassungen. Beispielhaft sei hier zum Einen auf § 126a StGB (Verbreiten sog. Feindeslisten), § 238 StGB (Nachstellung), § 241 StGB (Bedrohung), § 261 StGB (Geldwäsche), die §§ 277 ff. StGB (betreffend den Missbrauch mit falschen bzw. unrichtigen Gesundheitszeugnissen) hingewiesen. Umfangreiche Änderungen betreffen zum Zweiten das Sexualstrafrecht. In diesem Zusammenhang findet sich der Hinweis auf die aufgehobene Norm des § 184d StGB. Die Aufhebung des § 219a StGB (Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch) durch Gesetz vom 11. Juli 2022 (BGBl. S. 1082) konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden.
Die Erläuterungen der geänderten Vorschriften sind – wie kaum anders zu erwarten – präzise und gut begründet. In erfrischend kritischer Art nimmt der Kommentator etliche Neuregelungen in den Blick. Zu § 238 Abs. 1 Nr. 8 StGB attestiert er dem Gesetzgeber, eine „zirkelhafte Definition“ abgeliefert zu haben (s. § 238 Rn. 5 f. und 25 f.). Mit guten Gründen wird der ausufernde Rechtsgutskatalog des § 241 Abs. 1 StGB problematisiert (§ 241 Rn. 10).
Neue Rechtsprechung und Literatur wurden umfassend eingearbeitet. Neben den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs werden auch solche von Oberlandesgerichten und für das Strafrecht relevante Judikate des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt.
Fazit: An Aktualität und Informationsdichte ist der „Fischer“ nach wie vor nicht zu schlagen. Der Kommentar gehört in jede Bibliothek der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden. Angesichts des hervorragenden Preis-Leistungsverhältnissen kann der Kommentar auch Studierenden an den Hochschulen der Polizei uneingeschränkt zur Anschaffung empfohlen werden.
Prof. Dr. Jürgen Vahle, Bielefeld
Die deutsche Prostitutionsgesetzgebung in der Kritik
Manfred Paulus, Zuhälterei gestern und heute – Über Hurenwirte, Kiezkönige und die Sexsklaverei der Mafia, Promedia Verlagsgesellschaft, Wien 2022, 224 S., kart., 19,90 Euro.
Es gibt sie seit Menschengedenken und es wird sie auch in Zukunft geben – die Prostitution und Zuhälterei. Im stetigen Wandel begriffen ist jedoch der gesellschaftliche Umgang mit dem Phänomen der sexuellen Ausbeutung und die damit verbundene Strafverfolgungspraxis. Die Entwicklung der vorherrschenden Kriminalitätsstrukturen im Rotlichtmilieu sowie der deutschen Rechtssetzungs- und Strafverfolgungspraxis habe zu einem „...gigantischen Dunkelfeld im Bereich der Rotlichtkriminalität.“ geführt, so dass diese von der Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen werde und „...selbst in Verantwortung Stehende daran glauben, dass es sie nicht mehr gibt.“ Ausgestattet mit einer langjährigen Erfahrung als Ermittler im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und als Dozent u. a. an der Hochschule für Polizei Baden- Württemberg zeigt der Autor in seiner neuesten Buchveröffentlichung die historische Entwicklung des Prostitutionsgewerbes auf, um anschließend den Fokus auf die Entwicklung in ausgewählten Großstädten im deutschsprachigen Raum seit Ende 2. Weltkrieges zu legen. Gerade diese zeitgeschichtlichen Darstellungen belegen die Wahrnehmung des Kriminalitätsgeschehens und den Wandel der Kriminalitätsstrukturen im Milieu als Voraussetzungen für die aktuellen Verhältnisse. Stand die Situation der überwiegend weiblichen Prostituierten schon in den bisherigen Betrachtungen im Vordergrund, widmet sich ein weiteres Kapitel diesen Akteuren des Gewerbes mit Blick auf ihre Herkunftsländer, in welchen der Autor u. a. im Auftrag der Europäischen Kommission tätig war. Hier wird nochmals deutlich, dass der soziale Status Grundvoraussetzung für die sexuelle Ausbeutung war und ist, welcher von den eigentlichen Profiteuren des Gewerbes konsequent zur Profitmaximierung ausgenutzt wird. Bei diesen Profiteuren handelt es sich, wie der Autor im Weiteren darlegt, nunmehr fast ausschließlich um kriminelle organisierte Strukturen, welche die sexuelle Ausbeutung als ein höchst lukratives Geschäftsfeld entdeckt haben, in welchem sie nahezu ungestört agieren und insbesondere Einfluss auf Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nehmen können. Dies mache Deutschland zu einem bevorzugten Zielland. Diesen Einschätzungen muss man nicht folgen, doch deutet zumindest die einschlägige Kriminalstatistik einen nachlassenden Strafverfolgungsdruck an. Sollte sie jedoch zutreffen, so bereitet die deutsche Strafverfolgungs- und Gesetzgebungspraxis scheinbar einen Schutzschirm für kriminelle organisierte Strukturen aus, den diese ausgiebig zur Ausbeutung junger Frauen und Minderjähriger aus den Armutsregionen dieser Welt aber auch zur Absicherung ihrer sonstigen Geschäftsfelder wie dem Drogenhandel nutzen. Konsequent fordert der Autor daher „... die gesamte Philosophie der Prostitutionsgesetzgebung zu verändern ...“ und zeigt mit einer vergleichenden Betrachtung der Gesetzgebungspraxis in den deutschsprachigen Ländern zu der Gesetzgebungsphilosophie der nordischen Länder (Nordisches Modell) eine Alternative auf.
Der Autor greift hier auf seine in unterschiedlichen Tätigkeiten gesammelten umfangreichen Erfahrungen wie auch Veröffentlichungen anderer Autoren, die Medienberichterstattung zum Thema sowie Kriminalitätsstatistiken zurück. Die darauf basierenden Schlussfolgerungen sind wenn auch nicht zwingend jedoch plausibel und nachvollziehbar. Die erzählerische und mitunter anekdotische Darstellung richtet sich an den interessierten Leser, bietet jedoch auch der Fachpraxis einen guten Einblick in die Geschichte und Entwicklung des Prostitutionsmilieus.
Joachim Faßbender