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Ausgabe Dezember 2022

Dezember 2022

Fachartikel

Volksverhetzung

Erweiterung des Straftatbestands der Volksverhetzung
Öffentliches Billigen, Leugnen oder gröbliches Verharmlosen von Völkerrechtsverbrechen künftig strafbar
Von Anja Schiemann
 

Deradikalisierungsforschung

Einen neuen Sinn finden!
Sollten Erkenntnisse der empirischen Sinnforschung in staatlicher Deradikalisierungsarbeit und Kriminalitätsverhütung Anwendung finden?
Von Conrad Klosinski
 

Geldwäsche

Strafverteidiger und organisierte Kriminalität
Von Jörg Lehnert
 

DGfK-Fachtagung

Vernehmungen – Befragungen – Interviews
Die 17. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik zeigt Vorteile und weltweite Bedeutung audiovisueller und untersuchender Vernehmungen
Von Rolf Rainer Jaeger
 

Vernehmungen

„Kundenzufriedenheit“
Eine qualitative Untersuchung der Erfahrungen von Strafgefangenen mit kriminalpolizeilichen Vernehmungen/Teil 1
Von Uwe Rüffer
 

Phänomenologie

Zum Phänomen der „Challenge“ im Kontext von Suizidalität
Eine Betrachtung in Bezug auf Kinder und Jugendliche
Von Sandra Hahn und Maximilian Jochum
 

Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung

Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung
Die Odyssee des Kinderschutzes
Von Axel Schwarz

 

Kriminalistik-Schweiz

Scene of Crime – Post Attack (SoC-PA)
Gesamtschweizerische Kriminaltechnik-Übung vom November 2021
Von Alexander Schocker, Andreas Egger und Thomas Ottiker

 

Kriminalistik-Campus

Extremismusbekämpfung
Die Bekämpfungsstrategie der Bayerischen Polizei gegen Extremismus
Von Sven Hornfischer

Führung und innere Kündigung in der Kriminalpolizei
Eine quantitativ-empirische Untersuchung im BKA und in der Polizei Berlin
Von Karl-Heinz Fittkau

 

Recht aktuell

Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Datenerhebung nach dem PolG NRW

Anforderungen an das Vorliegen einer (relativen) Fahruntüchtigkeit aufgrund Drogenkonsums

Einverständnis mit Freiheitsberaubung

 

Literatur

Praxiswissen und mehr ...
Michael Soiné, Ermittlungsverfahren und Polizeipraxis

Trotz Schwächen empfehlenswert
Ackermann, Clages, Roll, Handbuch der Kriminalistik – Kriminaltaktik für Praxis und Ausbildung

 

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Fachartikel

Erweiterung des Straftatbestands der Volksverhetzung
Öffentliches Billigen, Leugnen oder gröbliches Verharmlosen von Völkerrechtsverbrechen künftig strafbar
Von Anja Schiemann
Der Bundestag hat am 20. Oktober 2022 ein Gesetz zur Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung nach § 130 StGB verabschiedet. Nicht nur das Gesetzgebungsverfahren an sich, sondern auch die Ergänzung des Paragrafens um einen fünften Absatz sind kurz danach in die Kritik geraten. Die Änderung wurde ohne öffentliche Debatte und ohne Beteiligung verschiedener Experten vorgenommen. Geglückt ist der eingefügte Absatz nicht, führt er doch zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten.

Einen neuen Sinn finden!
Sollten Erkenntnisse der empirischen Sinnforschung in staatlicher Deradikalisierungsarbeit und Kriminalitätsverhütung Anwendung finden?
Von Conrad Klosinski
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Orientierung, Kohärenz oder Bedeutung im Leben sind wichtige Faktoren beim Sinnerleben und können auch beim Radikalisierungsprozess eine bedeutende Rolle spielen. Extremistische aber auch kriminelle Gruppenmachen ihren potenziellen Anhängern in ebendiesen Bereichen mitunter verlockende Angebote. Distanzieren sich ehemalige Anhänger von diesen Gruppen besteht die Gefahr, dass sie mangels alternierender Sinnangebote in ein sprichwörtliches tiefes psychologisches Loch fallen. Die aus sicherheitspolitischer Sicht relevante Gefahr für einen Rückfall oder eine schwere Sinnkrise, die ihrerseits mit erhöhter Suizidalität korreliert, steigt deutlich. Im vorliegenden Artikel wird aufgezeigt, inwieweit vor allem staatliche Ausstiegsprogramme die Erkenntnisse der empirischen Sinnforschung für ihre Arbeit nutzen könnten. Ferner wird diskutiert, ob die freiheitlich demokratische Grundordnung in ihrer Gesamtheit oder die Menschenwürde für sich hierfür den Rahmen bilden könnten.

Strafverteidiger und organisierte Kriminalität
Von Jörg Lehnert
Oft wundern sich Prozessbeteiligte, wie sich anscheinend vermögenslose Angeklagte die besten und mutmaßlich teuersten Strafverteidiger leisten können. Dass das Geld, mit dem deren oft hohen Honorare bezahlt wird, aus legalen Quellen stammt, ist manchmal schwer vorstellbar. Das kann Geldwäsche sein. Mit der Neufassung des Geldwäscheparagraphen § 261 StGB ist nun sichergestellt, dass Strafverteidiger bei der Annahme ihrer Honorare praktisch nie wegen Geldwäsche belangt werden können. Ein Strafverteidiger muss wissen, dass sein Honorar aus dunklen Quellen stammt. Solches Wissen ist extrem selten und wird noch seltener zu beweisen sein. Der Gesetzgeber konnte aber nicht anders, als Strafverteidiger umfassend zu schützen, denn er ist insoweit an Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Unter Gerechtigkeitserwägungen ist dies schwer erträglich. Der Autor zeigt einen möglichen Weg auf, wie einerseits die vom Bundesverfassungsgericht geforderte strafrechtliche Privilegierung von Strafverteidigern bestehen bleiben kann, andererseits aber doch rechtliche Grenzen eingeführt werden können. Er schlägt die Einbeziehung dieses Berufsstandes in das Geldwäschegesetz vor, soweit Strafverteidiger auf der Basis frei ausgehandelter Honorare tätig werden. Wer als Strafverteidiger Mandanten verteidigt, soll entweder auf die gesetzlichen Gebührensätze verwiesen werden oder, falls ihm diese nicht ausreichen, die Pflichten aus dem Geldwäschegesetz einhalten müssen.

Vernehmungen – Befragungen – Interviews
Die 17. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik zeigt Vorteile und weltweite Bedeutung audiovisueller und untersuchender Vernehmungen
Von Rolf Rainer Jaeger
Die Deutsche Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK), die sich der Verbesserung kriminalistischer Methodiken und der Zusammenarbeit zwischen Kriminalisten und privaten Ermittlern, Rechtsanwälten und Wissenschaftlern verschrieben hat, lud am 29. und 30. September 2022 zu ihrer 17. Jahrestagung mit dem Schwerpunktthema Vernehmungen ein. Tagungspräsident Lennart May hatte ein außergewöhnlich abwechslungsreiches Seminarprogramm zusammengestellt. Besonders zu betonen ist, dass in einer Zeit, in der in der bundesdeutschen kriminalpolizeilichen Praxis audiovisuelle Vernehmungen immer noch kritisch beäugt und teilweise sogar abgelehnt werden, dieses Seminar aus vielfältigen Blickrichtungen die Vorteile dieser Vernehmung auch auf internationaler Ebene deutlich machte. Wegen der Vielfalt der Vorträge und Inhalte beschränkt sich dieser Bericht auf den Schwerpunkt untersuchender Vernehmungen auf nationaler und internationaler Ebene und damit in Verbindung stehende audiovisuelle Vernehmungen sowie einige interessante Informationen zum Tagungsthema für die kriminalpolizeiliche Praxis.

„Kundenzufriedenheit“
Eine qualitative Untersuchung der Erfahrungen von Strafgefangenen mit kriminalpolizeilichen Vernehmungen/Teil 1
Von Uwe Rüffer
Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege Mecklenburg – Vorpommern (FHöVPR M-V) war Projektpartner des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojektes „Befragungsstandard für Deutschland – BEST“. Wie der Name des Projektes es bereits erahnen lässt, war es das Ziel, im Zeitrahmen von 2019 -2021 den Stand der Vernehmungsausbildung in Deutschland zu erfassen sowie Aussagen und Empfehlungen zur Aus– und Fortbildung von Vernehmern zu treffen. Projektpartner waren das LKA Niedersachsen, die Steinbeis–Hochschule in Berlin sowie die FHöVPR M-V. Der Beitrag stellt einleitend das Projekt vor und erste Ergebnisse dar. Weitere Ergebnisse werden in Folgebeiträgen präsentiert werden.

Zum Phänomen der „Challenge“ im Kontext von Suizidalität
Eine Betrachtung in Bezug auf Kinder und Jugendliche
Von Sandra Hahn und Maximilian Jochum
Die Sozialisation junger Menschen vollzieht sich immer weniger durch Sozialkontakte zu Gleichaltrigen in unmittelbarer Nachbarschaft, als vielmehr online und durch (soziale) Medien. „Lebenserfahrungen werden somit seltener im direkten Gespräch erörtert als durch Social-Media-Kanäle, zu denen Kommunikations-Apps wie Whatsapp und auch Selbstdarstellungsplattformen wie Facebook oder Videoportale zählen“ (Piasecki/Dienstbühl 2020, S. 489). Dabei werden sie immer wieder mit Herausforderungen – sog. Challenges – konfrontiert, die zum Mitmachen oder Nachahmen auffordern und dabei mitunter Gefahren (schwerer) gesundheitlicher Schäden bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen heraufbeschwören. Mit dem vorliegenden Artikel wird versucht, einen Beitrag zu einem bewussten und kompetenten Umgang mit diesen, die Kinder und Jugendlichen konfrontierenden, Belastungen im Sinne einer Kriminalprävention zu leisten und zum besseren Verständnis der im digitalen Zeitalter auftretenden Probleme heutiger Kinder und Jugendlicher1 im Zusammenhang mit Suizidalität beizusteuern.

Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung
Die Odyssee des Kinderschutzes
Von Axel Schwarz
Chatkontrolle und Kinderschutz sind gegenwärtig heiße Eisen. Datenschützer lehnen die Chatkontrolle rundherum ab. Der Beitrag „Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung – Odyssee des Kinderschutzes“ von Dr. Axel Schwarz zeichnet die schwierige Entwicklung der einschlägigen Rechtsgrundlagen und der dazu ergangenen Rechtsprechung nach. Das aktuelle Urteil des EuGH v. 20.9.2022 in Sachen BRD vs. Bundesnetzagentur/SpaceNet bzw. Telekom (C-793/19, C-794/19) belegt, dass Chatkontrolle zum Kinderschutz eingesetzt werden kann. Der Schutz der Privatsphäre richtet sich nach den detaillierten Regeln der Technologie- ErlaubnisVO (EU) 2021/1232.

Scene of Crime – Post Attack (SoC-PA)
Gesamtschweizerische Kriminaltechnik-Übung vom November 2021
Von Alexander Schocker, Andreas Egger und Thomas Ottiker
Bei Terroranschlägen besteht die ernsthafte und dringliche Gefahr von unmittelbaren Folgeanschlägen oder weiteren Gefahren (z. B. durch Sprengvorrichtungen oder Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen), falls der Ereignisort nicht vollständig gesichert ist. Darüber hinaus erfordert ein Ereignis wie ein Terroranschlag mit zahlreichen Opfern, Asservaten und Spuren eine schnelle, effiziente und organisierte forensische Auswertung, um die (fahndungsrelevanten) Tatumstände abzuklären, die Täterschaft und mögliche Komplizen rasch zu identifizieren sowie das Risiko eines Folgeanschlags möglichst zu reduzieren. Um nach einem Terroranschlag die forensische Arbeit effizient handhaben zu können, wurde für die Schweiz ein nationales Einsatzkonzept definiert, das teilweise von der herkömmlichen forensischen Tatortarbeit abweicht. Es basiert weitgehend auf der durch die Pariser Polizeipräfektur nach den Anschlägen von 2015 erarbeiteten Arbeitsweise. Um dieses angepasste Vorgehen eindeutig und unmissverständlich zu bezeichnen, wird die Abkürzung SoC-PA (Scene of Crime – Post Attack) verwendet. An insgesamt drei Einsatzübungen wurden seit 2018 rund 300 Kriminaltechniker/innen schweizweit auf dem SoC-PA-Konzept trainiert.

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Kriminalistik Campus

Redaktion:
Joachim Faßbender, Kriminaldirektor im Hochschuldienst, Leiter Fachgebiet „Kriminalistik – Phänomenbezogene Kriminalstrategie“, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster

Extremismusbekämpfung
Die Bekämpfungsstrategie der Bayerischen Polizei gegen Extremismus
Von Sven Hornfischer, Polizeirat, PP Schwaben Süd/West, Kempten (Allgäu)
1. Einleitung
1.1. Der Staat und der Kampf gegen den Extremismus
Der politische Extremismus ist der Widerpart zum demokratischen Verfassungsstaat (Jesse & Mannewitz, 2018, S. 33). Der Verfassungsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass Menschenrechte, Pluralismus und Gewaltenkontrolle akzeptiert werden. Daher steht der politische Extremismus, der später noch näher definiert wird, diesen Werten als Antithese entgegen. (Jesse & Mannewitz, 2018, S. 34)
Exemplarisch für den rechtsstaatlichen Kampf gegen den Extremismus soll in dieser Hausarbeit der Umgang des Landes Bayern mit dem Rechtsextremismus behandelt werden. (…)

Führung und innere Kündigung in der Kriminalpolizei
Eine quantitativ-empirische Untersuchung im BKA und in der Polizei Berlin 
Von Karl-Heinz Fittkau, Dozent für Führungslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, Nicole Juffa, Kriminalrätin im Bundeskriminalamt und Jakob Müller, Kriminalrat im LKA Berlin
Der Erfolg einer Organisation ist unmittelbar und maßgeblich mit dem Engagement ihrer Mitarbeiter verknüpft. Ist dieses anhaltend nicht mehr gegeben, spricht man gemeinhin von der „inneren Kündigung“. Der Prozess der in diesem Zustand mündet, wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Dabei kann die Mitarbeiterführung sowohl einen negativen als auch einen positiven Einfluss ausüben. In dem nachfolgenden wissenschaftlichen Beitrag gehen die Autorin und Autoren zunächst der Frage nach, was unter dem Begriff „innere Kündigung“ zu verstehen ist. Im Anschluss daran untersuchen sie in einer vergleichenden Betrachtung den Grad der Verbreitung im Bundeskriminalamt und der Berliner Kriminalpolizei und inwieweit transformationales Führungsverhalten einen Prozess hemmenden Einfluss ausüben kann. Die Betrachtung schließt mit der Benennung konkreter Handlungsempfehlungen ab.
 

 

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Recht aktuell

Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Datenerhebung nach dem PolG NRW
Die Vorschriften über die längerfristige Observation (§ 16a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Satz 2) und den verdeckten Einsatz technischer Mittel (§ 17 Abs.1 Satz 1 Var. 1 Nr. 2 i. V. m. Satz 2 PolG NRW a. F.) sind mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art.2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
BVerwG, Beschl. v. 31.5.2022
6 C 2.20
jv

Anforderungen an das Vorliegen einer (relativen) Fahruntüchtigkeit aufgrund Drogenkonsums
1. Das bloße Vorliegen eines bestimmten Blutwirkstoffbefunds reicht für den Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit i. S. d. § 316 StGB nicht aus.
2. Für die Feststellung einer drogenbedingten Fahruntüchtigkeit bedarf es aussagefähiger Beweisanzeichen, die belegen, dass die gesamte Leistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr über die Fähigkeit verfügt, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, auch bei Eintritt anspruchsvoller Verkehrslagen, sicher zu steuern. Letzteres ist anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände im konkreten Einzelfall zu bewerten.
3. Die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen sind umso geringer, je höher die im But festgestellte Wirkstoffkonzentration ist.
BGH, Beschl. v. 2.8.2022
4 StR 231/22
bb

Einverständnis mit Freiheitsberaubung
1. Bezugspunkt für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in eine Freiheitsberaubung i. S. d. § 239 StGB ist der potentielle Fortbewegungswille.
2. Nötig ist mithin, dass sich der Betroffene der Freiheitsentziehung und der Freiheitsentziehende über das Ausmaß und die Dauer der Freiheitsentziehung einig sind. Ahnt der Betroffene hingegen nicht, dass er sich selbst dann nicht fortbewegen könnte, wenn er dies wollte, ist der Tatbestand des § 239 StGB mit Blick auf das geschützte Rechtsgut der potentiellen Bewegungsfreiheit erfüllt.
3. Ein durch List oder Täuschung erschlichenes Einverständnis des Betroffenen in eine ihm nicht bewusste Freiheitsentziehung stellt sich lediglich als ein Mittel zur leichteren Begehung der Freiheitsberaubung durch Verhinderung des zu erwartenden Widerstands des Betroffenen dar, das den objektiven Tatbestand des § 239 Abs.1 StGB nicht ausschließen kann.
BGH, Urt. v. 8.6.2022
5 StR 406/21
jv

 

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Literatur

Praxiswissen und mehr ...
Michael Soiné: Ermittlungsverfahren und Polizeipraxis. Einführung in Recht und Organisation, 3. neu bearb. Aufl. 2022 (Grundlagen der Kriminalistik), C.F. Müller GmbH, Heidelberg 2022, 190 S., kart., 25 Euro
Die 3. neu bearbeitete Auflage der Einführung in die Grundzüge des Ermittlungsverfahrens sowie zu den beteiligten Strafverfolgungsorganen und -behörden vermittelt in 14 übersichtlich gegliederten Artikeln fundiertes Grundlagenwissen und geht auf besondere und internationale Aspekte der polizeilichen und justiziellen Strafverfolgungspraxis ein.
Dabei gelingt es dem Autor nicht nur die vielschichtige Materie komprimiert und dennoch verständlich darzustellen, sondern durch das Aufzeigen aktueller Entwicklungen Anreize zur Vertiefung ausgewählter Themenkomplexe zu bieten und durch ein Literaturverzeichnis zu unterstützen.
Die geschickte Auswahl der verwendeten Begriffe im Schlagwortverzeichnis erleichtert das schnelle Auffinden relevanter Ausführungen zu konkreten Fragestellungen und damit nicht nur die Prüfungsvorbereitung. Damit wird das Buch seiner Zielsetzung umfassend gerecht.
Die Neuauflage berücksichtigt weitere gesetzliche Neuregelungen in der StPO, im BKAG und dem ZFdG, Änderungen in der Organisation der Sicherheitsbehörden sowie wichtige Gerichtsentscheidungen und Literatur. Eingearbeitet wurden eine Reihe neuer Fallbeispiele.
Das Buch empfiehlt sich insbesondere zur Vorbereitung auf Prüfungen an den Hochschulen der Polizei und für Studierende der Rechtswissenschaften im 1. Staatsexamen sowie als Einstiegslektüre für Staatsanwälte und Strafrichter, die sich als Berufsanfänger mit Grundfragen der Organisation und praxisrelevanten Aspekten der Strafverfolgung vertraut machen wollen.

Joachim Faßbender

 

Trotz Schwächen empfehlenswert
Rolf Ackermann, Horst Clages, Holger Roll: Handbuch der Kriminalistik – Kriminaltaktik für Praxis und Ausbildung, 6. aktualisierte Aufl., 2022, Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, Stuttgart, 760 S., kart., 49,80 Euro
Auf 753 Seiten vermitteln die Autoren in 14 Kapiteln Grundlagenwissen der Kriminalistik, wobei die inhaltliche Tiefe variiert. Zu Beginn erfolgt eine allgemeine Einführung in die Kriminalistik und Beweislehre. Im Anschluss werden die wesentlichen Ermittlungshandlungen in einzelnen Kapiteln abgehandelt. Die Darstellungen folgen dabei im Wesentlichen einem widerkehrenden Muster aus einer allgemeinen Einführung in Form einer Auseinandersetzung zu Begriff und Zielsetzung, gefolgt von einer rechtlichen Betrachtung und der anschließenden Vertiefung bzw. Spezifizierung. Häufig erfolgen auch Aussagen zur Bedeutung der jeweiligen Ermittlungsmaßnahme und ermöglichen dem Leser damit eine bessere Einordnung.
Ergänzt werden die Ausführungen um Beispiele aus der Praxis, Abbildungen und sog. „Merksätze“. Das Handbuch im Format DIN A 5 erweist sich in der Lektüre etwas unhandlich, ist jedoch übersichtlich gestaltet und ermöglicht in seinem Aufbau eine leichte Navigation. Neben einem Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis verfügt es über ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Das Gesamtinhaltsverzeichnis wird durch detailliertere Inhaltsverzeichnisse zu Beginn der einzelnen Kapitel ergänzt.
Im Vorwort zur ersten Ausgabe im Jahre 2000 betonen die Verfasser gleichermaßen den Praxisbezug des Werkes wie auch die Bedeutung der Vermittlung theoretischer Grundlagen und damit den Nutzen sowohl für den (kriminal-) polizeilichen Praktiker wie auch für die Hochschullehre. Im Vorwort zur 6. Auflage stellen Sie heraus, dass es vor dem Hintergrund kriminaltaktischer und rechtlicher Entwicklungen einer Aktualisierung bedurfte und nehmen darüber hinaus Bezug auf die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und ihre Auswirkungen auf die Kriminalitätsbekämpfung.
Die inhaltliche Ausgestaltung der aktuellen Ausgabe erweist sich dann auch überwiegend praxisorientiert und überzeugt in weiten Teilen durch einen strukturierten Aufbau und die Einbettung der einzelnen Maßnahmen in das kriminalistische Handlungsfeld. Gleichwohl ergeben sich einzelne Kritikpunkte und sind Schwächen erkennbar.
So nimmt die Einführung in die Kriminalistik vergleichsweise viel Raum ein ohne abschließend überzeugen zu können. Insbesondere die Begründung der Kriminalistik als eine Wissenschaft verfängt in dieser Form nicht umfassend. Wenn z. B. die Begründung über den Gegenstand der Wissenschaft und ihre Theorien erfolgt, wären zusätzlich zur konkreten Benennung der Theorien eine beispielhafte Ausformulierung bzw. Literaturverweise vonnöten gewesen. Auch hätte eine vertiefende Auseinandersetzung mit zentralen Argumenten, welche gegen eine Einordnung als eigenständige Wissenschaft sprechen, einem tieferen Verständnis gedient.
Die Darstellung zur Kriminalistik im System der Kriminalwissenschaften überzeugt in dieser Form ebenfalls nicht vollends. Zu bemängeln ist einerseits die Fokussierung der Kriminalwissenschaften auf die Verbrechensbekämpfung, die eine nicht bestehende Betroffenheit von Straftaten unterhalb dieser Schwelle impliziert. Ferner erscheint der Ausschluss der Forensischen Wissenschaften von den Kriminalwissenschaften unzureichend begründet, dienen diese doch unmittelbar der Beweisführung oder der vorbeugenden Straftatenbekämpfung und wären damit ähnlich der einschlägigen Rechtswissenschaften den Kriminalwissenschaften zuzuordnen. Gerade dieses Beispiel macht die zunehmende Interdisziplinarität der Einzelwissenschaften, von der die Kriminalwissenschaften wie auch die Kriminalistik in besonderem Maße betroffen sind, deutlich.
Die Ausführungen zur Kriminalstrategie als Teil der Kriminalistik greifen zu kurz und verkennen insbesondere die gesamtgesellschaftliche Gestaltungswirkung und Verantwortung wissenschaftlicher Disziplinen – hier der Kriminalistik.
Ferner enthält das Werk eine Reihe von Ungenauigkeiten. So ist bspw. das Tatgeschehen am 24.2.2020 beim Karnevalsumzug in Volkmarsen (Nordhessen) als Amokfahrt einzustufen und nicht wie dargestellt als fremdenfeindliche Straftat (S. 8), die Abteilung IT im BKA (mittlerweile umbenannt) ist schwerlich als Untersuchungsbereich im dargestellten Sinn zu bezeichnen (S. 40). Erst bei geringem Aussagewert vorliegender Indizien oder bei Zweifeln auf deren Beweisrelevanz weitere Beweiserhebungen zu prüfen steht im Gegensatz zu der Verpflichtung, alle beweiserheblichen Tatsachen im Ermittlungsverfahren festzustellen (S. 76).
Ähnlich verhält es sich im Merksatz zur Tatortbesichtigung. Die diesbezügliche Formulierung lässt Ausnahmen zu und schließt diese zugleich apodiktisch aus (S. 132).
Leider ist auch die Darstellung einzelner polizeilicher Maßnahmen zu bemängeln. So werden Durchsuchungen von Personen und von Sachen nicht eindeutig voneinander abgegrenzt, das zur Durchsuchung von Sachen verwendete Beispiel bezieht sich dann auch auf eine Personendurchsuchung (S. 512). Ferner gilt in analoger Anwendung des § 81 d StPO, anders als dargestellt, dass immer, wenn das Schamgefühl verletzt werden kann, die Durchsuchung durch Personen gleichen Geschlechts erfolgen sollte. Die Zulässigkeit der Suche in Körperöffnungen (Mund, Ohren) ist zumindest strittig, was einen entsprechenden Hinweis gelohnt hätte. Undifferenziert ist ebenfalls die Darstellung, dass „Observationen“ innerhalb von Wohnungen erfolgen können (S. 696). Zwar können Observationen aus einer Wohnung heraus erfolgen oder unterstützt werden. Ist das zu observierende Ziel jedoch in einer Wohnung aufhältig, kommt eine Observation nicht mehr in Frage, es verbleibt allenfalls das Instrument der akustischen Wohnraumüberwachung.
Die Gleichsetzung von nicht geständniswilligen Personen mit „sonst fehlentwickelten“ Personen (S. 42) ist hier wohl eher einer unglücklichen Formulierung denn einer Absicht geschuldet. Kritischer zu betrachten sind die Ausführungen zur Online-Durchsuchung im Kapitel Durchsuchung/Beschlagnahme, da hier nicht ausreichend deutlich zwischen der Online-Durchsuchung nach § 100b StPO, der Durchsuchung der Wohnung nach § 102 StPO und der forensischen Untersuchung oder Durchsicht digitaler Medien unterschieden wird (§§ 110 StPO, 692 Kriminalistik 12/2022 163 StPO). Während der Zugriff auf das informationstechnische System mittels technischer Mittel bei der Online-Durchsuchung nach § 100b StPO als verdeckte Maßnahme konzipiert ist – dementsprechend im Kapitel „Verdeckte polizeiliche Informationserhebung“ folgerichtig gesondert Ausführungen hierzu erfolgen – und Art. 13 GG unabhängig vom Standort des informationstechnischen Systems nicht berührt, findet die gestattete Durchsicht des informationstechnischen Systems, welche hier irrigerweise als „Offene Online-Durchsuchung“ (es bedarf hier keiner Internetverbindung) bezeichnet wird, im Rahmen einer Durchsuchung nach § 102 StPO statt. Dies trifft auch auf die dargestellte Beschlagnahme eines informationstechnischen Systems oder eines digitalen Speichermediums zu. Diese werden im Anschluss jedoch nicht durchsucht, sondern ausgewertet, was sich nicht nur hinsichtlich der Art und des Umfangs der dabei gewonnenen Informationen grundsätzlich deutlich von einer Durchsicht vor allem aber auch einer Online-Durchsuchung unterscheidet1.
Die Änderungen in § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO spielen dementsprechend bei einer Online-Durchsuchung keine Rolle. Sie verfolgen zwar den gleichen Zweck wie die Online-Durchsuchung, nämlich den Zugriff auf verschlüsselte informationstechnische Systeme, sollen hier aber den direkten Zugriff (Beschlagnahme) auf ein in Betrieb befindliches „offenes“ System ermöglichen und dem Umstand Rechnung tragen, dass die Nutzung der informationstechnischen Systeme sehr häufig und zum Teil ausschließlich zur Nachtzeit erfolgt2.
Auf weitere, insoweit auch klarstellende, Einzelheiten zur Online-Durchsuchung, wird zwar in besagtem Kapitel später eingegangen, zugleich wird aber wieder auf die kritisierten Darstellungen im Kapitel Durchsuchung/Beschlagnahme verwiesen. Ferner geben auch diese Darstellungen das Bild der Online- Durchsuchung nicht ausreichend wieder.
Ähnlich undifferenziert sind die Darstellungen zur Quellen-TKÜ. Zielobjekt der Maßnahme sind hier vordringlich der Kommunikation dienende informationstechnische Systeme wie bspw. Mobilfunkgeräte. Dabei kommt es auf den Übertragungsweg zunächst nicht an.
Gelegentlich neigen die Autoren dazu, Themen etwas zu weit zu spezifizieren (Fahndungsversionen, Untersuchungsplanung, Allgemeine und spezifische taktisch- methodische Aspekte der Durchführung von Verhaftungen) oder auszuführen. So sollte der ermittelnde Kriminalbeamte bspw. zwar die rechtlichen Voraussetzungen und den kriminalistischen Wert einer Observation kennen, Einzelheiten der Durchführung sind dagegen weniger von Interesse, da diese Aufgabe regelmäßig nicht von ihm selbst wahrgenommen wird und Gegenstand spezieller Aus- und Fortbildungsmaßnahmen ist.
Andererseits lässt das Werk aktuellere Beispiele und dazugehörige Vertiefungen vermissen (Vorbereitungshandlungen zur Durchführung Erkennungsdienstlicher Maßnahmen bei Verwendung von Sekundenkleber auf den Fingerkuppen usw.).
Die Ausführungen zur Verhaftung und vorläufigen Festnahme wirken mitunter etwas unstrukturiert; es kommt häufiger zur wiederholten Darstellung einzelner Aspekte wohingegen andere (psychologische Betrachtungen zum Festzunehmenden in dieser Ausnahmesituation, Festnahmen im Milieu, Überwachungs- und Sicherungstechnik (Smart-Home) bei Festnahmen in der Wohnung, Obhutspflichten gegenüber dem Festgenommenen) in einer vertiefenden Darstellung hätten gewürdigt werden können. Der Versuch, unterschiedliche Festnahmesituationen systematisch darzustellen mündet in einer im Ergebnis wenig hilfreichen schlaglichtartigen Betrachtung.
In dem Kapitel „Polizeilichen Vernehmung“ wird nochmals sehr deutlich, dass der Versuch, praktisches Erfahrungswissen in eine systematische Darstellung zu integrieren, zu nicht kontextualisierten Aussagen führt (Fluchtmöglichkeiten bei der Vernehmung Verdächtiger/Beschuldigter unterbinden S. 630), Aspekte willkürlich kombiniert erscheinen (Situationsbezogene Ausgangssituation S. 649), letztlich jedoch immer nur ein Ausschnitt präsentiert werden kann, welcher dennoch durch die Art der Darstellung einen gewissen Vollständigkeitsanspruch vermittelt.
Auch die sehr kurz geratenen Ausführungen zum Dolmetschereinsatz bei Vernehmungen bzw. der wie es heißt „speziellen Problematik der ,Ausländervernehmung‘“ sind begrifflich nicht korrekt und in dieser Absolutheit nicht zutreffend bzw. hätten der näheren Erläuterung bedurft. Es ist nicht erkennbar, weshalb zu diesem wichtigen Thema weitere Ausführungen im Lehrbuch nichtmöglich sein sollen.
Zwar wird das Ziel, ein Geständnis zu erlangen, immer wieder relativiert, jedoch impliziert die diesbezügliche Darstellung einen höheren Stellenwert desselben, als ihm zusteht. Gerade für angehende Kriminalbeamte muss klar sein, dass die Vernehmung der Feststellung der objektiven Wahrheit dient. Ein Geständnis ist weder das vorrangige Ziel noch uneingeschränkt als der Sachverhaltsaufklärung dienlich anzusehen.
Getrübt wird das Gesamtbild durch immer wieder einmal formulierte Banalitäten (Die Vernehmung dient im Allgemeinen dazu, Informationen von der zu vernehmenden Person zu erlangen; Fenster im Vernehmungsraum geschlossen halten). Den insoweit umfassenden Darstellungen der klassischen Themen der Kriminalistik mangelt es an einem eigenen Kapitel zur Digitalen Forensik und Ermittlungen im Cyberraum – beides Bereiche die zunehmend den kriminalistischen Alltag prägen. Hier wird das Werk seinem Anspruch, gerade auf informationstechnisch getriebene Neuerungen einzugehen, nicht umfassend gerecht.
Ansonsten überzeugt das Werk trotz der aufgeführten Unzulänglichkeiten durch seine sehr ausführliche und übersichtliche Darstellung mit vielen praktischen Beispielen beginnend bei der Beweislehre/-führung. Hier sind die wesentlichen Informationen zum jeweiligen Betrachtungsgegenstand in anschaulicher und nachvollziehbarer Weise dargelegt.
Ergänzt werden diese Ausführungen häufig durch gelungene Schaubilder und Zusammenfassungen, welche zum einen dem besseren Verständnis dienen, aber auch eine schnelle Übersicht zu komplexen Themen ermöglichen (Verdachtsgraduierungen bei wesentlichen Ermittlungshandlungen, ...).
Damit kann das Werk letztlich sowohl für Studium als auch Berufspraxis empfohlen werden.

Joachim Faßbender

Anmerkungen
1 Die hier getroffenen Aussagen gelten gleichermaßen für die analogen Maßnahmen nach Polizeirecht.
2 BT-Drucks. 19/30517, S. 18
 


Verlag C.F. Müller

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