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Ausgabe Oktober 2020

Fachartikel

 

Gremienarbeit

70 Jahre AG Kripo
Von Holger Münch
 

Kriminalistik

Die Kriminalistik im System der Kriminalwissenschaften
Von Philipp Heid
 

Gewaltkriminalität

Krawalle
Ein neues Phänomen in deutschen Innenstädten?
Von Prof. Dr. Britta Bannenberg und Ralf Schmidt

Kollektive Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte
Die Konzeption kommunaler Präventionsmaßnahmen in Karlsruhe
Von Prof. Dr. Dieter Hermann und Dr. Björn Weiße
 

Politisch motivierte Kriminalität

Türkischer Extremismus in Deutschland
Teil 1: „Hedef Turan!“ Die türkische rechtsextremistische Szene
Von Dr. Christian Herrmann
 

Rauschgiftkriminalität

Drogenkriminalität 2.0 – Der Beginn einer neuen Ära?
Von Jakob Schmidkonz
Literaturverzeichnis (PDF-Download)
 

Illegale Migration

Mobile Einheit der Fremdenpolizei gegen illegale Migration in der Tschechischen Republik
Von Petr Rožňák, Martin Hrala und Jozefína Drotárová
 

Psychosoziale Notfallversorgung

Modellprojekt „BeKo Rhein-Neckar“ – eine polizeinahe, regionale Fachberatungsstelle nach hoch belastenden Ereignissen
Von Dr. Angelika Treibel und Tanja Kramper
 

Strafverfahrensrecht

Das Gebot der effektiven Strafverfolgung
Geschichte – Bedeutung – Begründung
Von Prof. Dr. Bijan Nowrousian
 

Kriminalistik-Schweiz

Klein aber fein: Ohren und Hände in der visuellen Personenidentifizierung (Foto auf der Startseite: Forensisches Institut Zürich)
Von Ralph Mülli, Dr. Zuzana Obertová, Dr. Inga Siebke und Sarah Weidmann
 

 

 

 

Kriminalistik-Campus

 

Kriminologie in der Polizeiausbildung
Neue Wege der Befähigung zum kritischen Denken
Von Prof. Dr. Frank Robertz

Welche Auswirkungen haben Fake News auf die Arbeit der deutschen Polizei?
Wirkungsweise, Gefährdung und Gegenstrategien
Von Linda Söllenböhmer


 

 

Recht aktuell

 

Missbrauch von Ausweispapieren


Betrug und Wucher bei Schlüsseldienstleistung


Anforderungen an das Ausnutzen einer schutzlosen Lage

 

 

 

 




 

 

Fachartikel

 

70 Jahre AG Kripo
Paradebeispiel für gelebten Föderalismus
Von Holger Münch
Die Erfahrungen aus der deutschen Geschichte haben die Verfasser des Grundgesetzes dazu veranlasst, eine zentral geführte Polizei für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland auszuschließen. Damit wurde eine bedeutsame strategische Weichenstellung für die Polizeiorganisation getroffen – jedoch auch eine Vielfalt zu lösender Zusammenarbeitsprobleme in Kauf genommen. Rein regionale Ansätze greifen im Kampf gegen Kriminalität zu kurz, nicht erst seit Beginn von Globalisierung und Digitalisierung. Eine konstruktive Kooperation der verschiedenen Polizeibehörden ist unabdingbar, um einheitliche kriminalstrategische Konzepte und Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen, um letztendlich Kriminalität erfolgreich bekämpfen zu können. Auf Bund-Länder- Ebene wurden verschiedene Gremien eingerichtet, denen in diesem Kontext entscheidende Bedeutung zukommt. Eine zentrale Kooperationsplattform ist die „Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem BKA“, kurz AG Kripo, die am 5. September 2020 auf ihr 70-jähriges Bestehen zurückblicken konnte.

Die Kriminalistik im System der Kriminalwissenschaften
Von Philipp Heid
Zur Frage, ob es sich bei der Kriminalistik um eine eigenständige Wissenschaft handelt, existieren im Schrifttum konträre Auffassungen. Im Rahmen einer literaturtheoretischen Analyse wird eine Antwort zur Stellung der Kriminalistik im System der Kriminalwissenschaften entwickelt, wobei insbesondere die Aspekte der Abgrenzung von (Bezugs-)Disziplinen und der Verankerung in der Hochschullandschaft erörtert werden. Daran anschließend wird die Bedeutung einer wissenschaftlichen Kriminalistik für strafrechtliche Ermittlungsverfahren sowie kriminalpolitische Entscheidungsprozesse herausgearbeitet und es erfolgt eine Betrachtung aktueller Herausforderungen für die Kriminalistik, aus welchen sich schließlich das Entwicklungspotential dieser Disziplin und die Notwendigkeit ihrer Fortentwicklung ergeben.

Krawalle
Ein neues Phänomen in deutschen Innenstädten?
Von Britta Bannenberg und Ralf Schmidt
Im Sommer 2020 kam es zu Krawallen in deutschen Innenstädten, die Fragen nach den Ursachen aufwerfen. Ähnliche Ausschreitungen hat es aber schon in der Nachkriegszeit gegeben. Insbesondere die Polizei wird von aufgeputschten Menschenmassen massiv angegriffen. Zu unterscheiden sind Hinterhalte und Situationen, in denen Menschenmengen gewalttätig werden. Gewaltbereite Rädelsführer und eine aggressive Gruppendynamik spielen eine Hauptrolle.

Kollektive Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte
Die Konzeption kommunaler Präventionsmaßnahmen in Karlsruhe
Von Dieter Hermann und Björn Weiße
Die Zunahme der Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte sowie die Gewaltausbrüche in Stuttgart und Frankfurt legen die Intensivierung der Prävention nahe. Bislang lag der Schwerpunkt bei Maßnahmen der Polizei. Die zentrale Frage dieses Beitrags ist: Was können Kommunen tun, um kollektive Gewaltaktionen gegen Polizei und Rettungskräfte zu verhindern? Diese unterscheiden sich erheblich von Handlungen einzelner Personen. Die Erkenntnisse über Einzeltäter sind nicht auf Prozesse kollektiver Gewalt übertragbar, denn dabei beeinflussen dynamische Prozesse sowie die Aktionen von Bystandern und Unbeteiligten den Verlauf. Auf der Basis eines theoretischen Modells kollektiver Gewalt werden mittels einer Bevölkerungsbefragung Personengruppen identifiziert und charakterisiert, die sich in der normativen Legitimation von Gewalt und in ihrer Haltung gegenüber Polizei und Rettungskräften unterscheiden. Aus diesen Erkenntnissen werden mögliche und erfolgversprechende Präventionsmaßnahmen abgeleitet.

Türkischer Extremismus in Deutschland
Teil 1: „Hedef Turan!“ Die türkische rechtsextremistische Szene
Von Christian Herrmann
Der Beitrag gibt einen Überblick über die Ideologie und Struktur der rechtsextremistischen türkischen Szene in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wird deutlich, wie unzureichend dieser zahlenmäßig bedeutende Phänomenbereich PMK – ausländische Ideologie – (Definition siehe Kasten) erforscht ist. Insbesondere im Zusammenhang mit Demonstrationen der verbotenen linksextremistischen kurdischen Arbeiterpartei PKK kommt es regelmäßig zu Resonanzstraftaten wie Landfriedensbruch und Körperverletzungsdelikten zum Nachteil von Polizeibeamten. Die Ideologie der Szene wirkt darüber hinaus im breiten Umfang integrationsverhindernd auf die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund und verdient in Zukunft stärkere Beachtung der Sicherheitsbehörden.

Drogenkriminalität 2.0 – Der Beginn einer neuen Ära?
Von Jakob Schmidkonz
Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahren unseren Alltag in vielen Bereichen maßgeblich verändert und auch das Deliktsfeld der Rauschgiftkriminalität wurde längst vom technischen Wandel erfasst. In der heutigen Zeit ist es mit nur wenigen Klicks möglich, sich jegliche Art von Betäubungsmitteln kiloweise nachhause liefern zu lassen. Die Vertriebsstrukturen des Darknets formen sowohl auf Seiten der Verkäufer als auch auf Seiten der Käufer einen neuen Tätertypus und lassen althergebrachte Ermittlungsmethoden und kriminalistische Erfahrungssätze zunehmend ins Leere laufen. Durch die „Drogenkriminalität 2.0“ wird dem Rauschgifthandel zunehmend der Weg in die Mitte der Gesellschaft geebnet und es ist zu befürchten, dass die Gesetzlosigkeit des Darknets und die Banalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln der Politik die Deutungshoheit in der Legalisierungsdebatte entzieht.
Literaturverzeichnis (PDF-Download)

Mobile Einheit der Fremdenpolizei gegen illegale Migration in der Tschechischen Republik
Von Petr Rožňák, Martin Hrala und Jozefína Drotárová
Dieser Beitrag hat zum Ziel die Gründe der illegalen Migration zu analysieren, den direkten Zusammenhang zwischen der Begehung von Straftaten und der illegalen Migration nachzuweisen und auf die mit der illegalen Migration verbundenen Risiken für die Tschechische Republik aufmerksam zu machen. In diesem Zusammenhang sollen die mobile Einheit der Fremdenpolizei und ihre Hauptaufgaben sowie die Stärkung der Polizei durch die tschechische Armee vorgestellt werden.

Modellprojekt „BeKo Rhein- Neckar“ – eine polizeinahe, regionale Fachberatungsstelle nach hoch belastenden Ereignissen
Von Angelika Treibel und Tanja Kramper
Die gemeinsame Zielsetzung von Opferhilfe, Opferschutz und Psychosozialer Notfallversorgung ist es, Menschen, die von einem hoch belastenden Ereignis betroffen sind, bedarfsgerecht und zielgerichtet zu unterstützen. Während Opferschutz und Opferhilfe sich vor allem um die Belange von Kriminalitätsopfern kümmern, liegt dem Konzept der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) ein breiteres Spektrum an hoch belastenden Ereignissen zugrunde. Die PSNV umfasst gemäß Definition des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) „die Gesamtstruktur und die Maßnahmen der Prävention sowie der kurz-, mittel- und langfristigen Versorgung im Kontext von belastenden Notfällen bzw. Einsatzsituationen“ (BBK 2012, S. 20). Der vorliegende Beitrag berichtet über ein regionales Beratungsangebot in der Rhein-Neckar-Region, das an das Konzept der PSNV anknüpft und gleichwohl auch den Belangen des polizeilichen Opferschutzes Rechnung trägt.

Das Gebot der effektiven Strafverfolgung
Geschichte – Bedeutung – Begründung
Von Bijan Nowrousian
Das Gebot der effektiven Strafverfolgung dürfte zugleich zu den umstrittensten und zumindest in der Ausbildung unbekanntesten Prinzipien des deutschen Strafprozessrechts zählen. Dabei ist es in der Rechtsprechung viel genutzt und hat eine wichtige Funktion: quasi als „Grundrecht“ der Strafverfolgungsbehörden, als Gegenpol zu den dem Beschuldigtenschutz dienenden Prinzipien. Und es führt tief hinein in die letztlich verfassungsrechtliche wie rechtsphilosophische Frage danach, wie der Rechtsstaat Freiheit schützt, ja, was ihn überhaupt zum Rechtsstaat macht. Ziel des Beitrags ist, dieses Gebot umfassend darzustellen: in seiner Geschichte, seiner Bedeutung und seiner dogmatischen Begründung. Denn ohne seine Kenntnis bleibt jedes Strafprozessrechtsdenken und jede Rechtsstaatsreflexion Stückwerk.

Klein aber fein: Ohren und Hände in der visuellen Personenidentifizierung (Foto auf der Startseite: Forensisches Institut Zürich)
Von Ralph Mülli, Zuzana Obertová, Inga Siebke und Sarah Weidmann
Jeder Mensch ist einmalig. Trotzdem kann die Identitätsfeststellung mittels Bildern manchmal auch erfahrene Forensiker*innen vor gewisse Probleme stellen. Dies liegt nicht nur an der Bildqualität der inkriminierten Bilder, sondern auch an der dargestellten Körperpartie. Mit den konstant besser werdenden und omnipräsenten Kameras von Smartphones sowie der Videoüberwachung im öffentlichen Raum können heutzutage bei Bedarf immer mehr Körperpartien mit in eine Auswertung einbezogen werden. Dazu gehören beispielsweise die Hautstrukturen von Händen, die immer häufiger im Fokus von forensischen Untersuchungen stehen. Die Formenvielfalt der Ohren kann unter günstigen Umständen wertvolle Informationen zu einer Identität oder Nichtidentität über den Tod hinaus liefern. Die Methodik der Morphognose aus der forensischen Anthropologie hat durch die in vielen Fällen verfügbaren Bilder an praktischer Bedeutung gewonnen. Die im Artikel vorgestellten Fallbeispiele zeigen Anwendungsmöglichkeiten auf, wie sie das Team Visuelle Personenidentifizierung (VIP) des Forensischen Instituts Zürich (FOR) bearbeitet.




  


 

 

 

Kriminalistik Campus

Redaktion:
Prof. Dr. Sigmund P. Martin, LL.M. (Yale), Hochschule des Bundes, Fachbereich Kriminalpolizei, Wiesbaden

 

Kriminologie in der Polizeiausbildung
Neue Wege der Befähigung zum kritischen Denken
Von Dr. Frank Robertz, Professor für Kriminologie an der HPolBB
 

Welche Auswirkungen haben Fake News auf die Arbeit der deutschen Polizei?
Wirkungsweise, Gefährdung und Gegenstrategien
Von Linda Söllenböhmer, Kriminalhauptkommissarin



 

  


 

 

 

 

Recht aktuell

 

Missbrauch von Ausweispapieren
Auch durch Vorlage der Kopie oder durch elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises zur Identitätstäuschung kann ein Ausweispapier i. S. von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.

 

BGH, Beschl. v. 21.7.2020
5 StR 146/19

jv




Betrug und Wucher bei Schlüsseldienstleistung
1. Das Fordern und Vereinbaren eines bestimmten, gegebenenfalls auch überhöhten Preises umfasst nicht ohne Weiteres die schlüssige Erklärung, die Leistung sei ihren Preis auch wert. Mit Rücksicht auf das Prinzip der Vertragsfreiheit ist grundsätzlich kein Raum für die Annahme konkludenter Erklärungen über die Angemessenheit und Üblichkeit des Preises; es ist vielmehr Sache des Vertragspartners, abzuwägen und zu entscheiden, ob er das geforderte Entgelt aufwenden will.
2. Für einen Verkäufer besteht bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit und des Wuchers grundsätzlich keine Pflicht zum Offenlegen des Werts des Kaufobjekts, selbst wenn dieser erheblich unter dem verlangten Preis liegt.
3. Anderes gilt, wenn die Parteien die Höhe der Gegenleistung für einen Vertragsabschluss mit allen wesentlichen Bestandteilen nicht ausdrücklich vereinbaren müssen, sondern eine taxmäßige oder übliche Vergütung als vereinbart gilt.
4. Rechnet ein Werkunternehmer nach Leistungserbringung ab, erklärt er konkludent, das geforderte Entgelt entspreche dem als vereinbart geltenden Üblichen; eine gewisse Schwankungsbreite bei der Festlegung des Ortsüblichen muss dabei allerdings berücksichtigt werden, sodass erst eine deutliche Erhöhung betrugsrelevant ist.
5. Bereits das Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung begründet regelmäßig eine Zwangslage i.S. des Wuchertatbestandes, ohne dass weitere besonders bedrängende Umstände hinzutreten müssten.

 

BGH, Urt. v. 16.1.2020
1 StR 113/19

jv



Anforderungen an das Ausnutzen einer schutzlosen Lage
1. Für das Vorhandensein einer schutzlosen Lage i. S. d. § 177 Abs. 5 Nr. 3 ist es nicht erforderlich, dass das Opfer diese auch erkennt. Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes ist das objektive Vorliegen der schutzlosen Lage des Tatopfers ausreichend.
2. Regelmäßig liegt objektiv eine schutzlose Lage des Tatopfers vor, wenn sich das Opfer dem überlegenen Täter alleine gegenübersieht und nicht mit fremder Hilfe rechnen kann. Zur Feststellung dieser Situation muss eine Gesamtwürdigung aller äußeren tatbestandsspezifischen Umstände und persönlicher Voraussetzungen von Täter und Opfer im Einzelfall erfolgen. Der Täter muss die schutzlose Lage nicht herbeigeführt haben.

 

BGH, Urt. v. 2.7.2020
4 StR 678/19

bb


Verlag C.F. Müller

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