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Ausgabe November 2020

Fachartikel

 

Tötungsdelikte

Tatort Tomsk – Die Vergiftung Alexander Navalnys
Von Prof. Dr. jur. em. Ulrich Eisenberg
 

Todesermittlungen

Cold Case – Schwierigkeiten eines Altfalles
Von Annette Marquardt
 

Politisch motivierte Kriminalität

Türkischer Extremismus in Deutschland
Teil 2: „Rückfront“ Bundesrepublik: Die linksextremistische türkische Szene
Von Dr. Christian Herrmann
 

Vernehmung

Evaluation eines Vernehmertrainings
Von Dr. Cathrin Chevalier, Uwe Rüffer und Christian Brand
 

Soziale Medien

Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität
Von Dr. Manfred Reuter
 

Legalbewährung

Legalprognose im Rahmen des § 56 StGB bzw. § 21 JGG
Zuhilfenahme statistischer Prognoseinstrumente – zugleich eine Kritik an der bisherigen Forschung
Von Timm Schnorr
 

Forensik

Forensische Molekularbiologie im Jahr 2020
Von PD Dr. Katja Anslinger, Birgit Bayer und Dr. Marta Diepenbroek
 

Kriminaltechnik

Die Behandlung von Verwahrstücken in Ungarn
Von Prof. Dr. Csongor Herke, Prof. Dr. Gábor Kovács und Dr. Gergely Gárdonyi
 

Kriminalistik-Schweiz

Stringente Beweisführung und begründete Zweifel versus Schein‑Beweise
Von Prof. Dr. Henriette Haas
 

 

 

 

Kriminalistik-Campus

 

Einsatz von Online-Streifen zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet
Von Dirk Tröger

Der Beweiswert des kriminalistischen Einsatzes polizeilicher Mantrailer im Strafverfahren
Von Anett Zimmer


 

 

Recht aktuell

 

Versuchter Diebstahl bei Vorliegen von gewahrsamssichernden Schutzmechanismen

 

 

 

 

 




 

 

Fachartikel

 

Tatort Tomsk – Die  Vergiftung Alexander Nawalnys
Von Ulrich Eisenberg
Mutmaßlich durch Staatsführungen veranlasste vorsätzliche Tötungsdelikte sperren sich strafprozessual der beweisrechtlichen Aufklärung und kriminologisch der Untersuchung der Entstehungszusammenhänge umso mehr1, soweit die Ausführung Geheimdiensten übertragen wurde, die wesensmäßig über ein ausgeprägtes Abschottungsvermögen verfügen. Dies gilt strafprozessual – selbst wenn es zu einem förmlichen Strafverfahren vor einem unabhängigen Gericht kommen sollte – auch für die Vergiftung Alexander Nawalnys, geschehen am 20.8.2020 auf russischem Boden mit einer (nach Berichten) als neuartig geltenden chemischen Substanz aus der sogenannten „Nowitschok“ Nervenkampfstoff-Gruppe.

Cold Case – die Schwierigkeiten eines Altfalles
Von Annette Marquardt
1984 wird ein Mann an der Weser getötet. Die Ermittlungen ergeben einen Tatverdacht gegen A, der die Tat bestreitet. Zeugenvernehmungen werden teils nur in Vermerkform niedergelegt. Das Tatwerkzeug (Scherben einer Kornflasche) wird vernichtet. A lässt sich wiederholt ein und passt immer wieder seine Aussagen der Beweislage an. 34 Jahre später werden neue Erkenntnisse gewonnen. A wird angeklagt. Die Vernehmungsbeamten erinnern sich in der Hauptverhandlung nicht mehr, viele Zeugen sind inzwischen verstorben oder haben ebenfalls keine Erinnerung. Relevante Tatsachen können deshalb in der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden. A wird schließlich freigesprochen. Im Revisionsverfahren verstirbt A.

Türkischer Extremismus in Deutschland
Teil 2: „Rückfront“ Bundesrepublik: Die linksextremistische türkische Szene
Von Christian Herrmann
Nachdem sich Teil 1 in der letzten Ausgabe der Kriminalistik mit der türkischen rechtsextremistischen Szene in Deutschland befasste, behandelt Teil 2 das kaum bekannte, polizeilich jedoch relevante Phänomen des türkischen Linksextremismus. Der Beitrag macht deutlich, dass die Bundesrepublik als Standort der Mobilisierung, Finanzierung und Rekrutierung unverzichtbar für die drei relevanten türkischen linksextremistischen Organisationen bleibt. Hierbei kommt insbesondere der Kooperation mit der deutschen linksextremistischen Szene große Bedeutung zu. Zahlenmäßig hinter dem türkischen Rechtsextremismus zurückbleibend, verhindern türkische Linksextremisten jedoch nicht nur die Integration, sondern gefährden durch Straftaten den inneren Frieden innerhalb Deutschlands und verstoßen durch ihre Unterstützung ihrer kämpfenden Kräfte in der Türkei gegen den Gedanken der Völkerverständigung, wie es das Grundgesetz postuliert.

Evaluation eines Vernehmertrainings
Von Cathrin Chevalier, Uwe Rüffer und Christian Brand
Seit vielen Jahren wird an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege Güstrow im Rahmen des Bachelorstudiums ein dreitägiges Vernehmertraining und darüber hinaus eine teilrealistische Kindervernehmung als Abschluss durchgeführt. Eine allgemeine methodisch-didaktische Betrachtung erfolgte bereits und wurde in dieser Zeitschrift 4/2020 veröffentlicht. Aber erst durch das BMBF geförderte Forschungsprojekt (Befragungsstandards für Deutschland- BEST) entstand auch die Verpflichtung, dieses Training inhaltlich und strukturell fortlaufend zu evaluieren. Das Ergebnis der Evaluation aus 2019 soll hier vorgestellt werden. Es sollte für alle Beteiligten als Bestandsaufnahme dienen. Neben der Betrachtung der inhaltlichen Teilbereiche wird sich insbesondere der Fragestellung gewidmet, wie viele Wiederholungen bedarf es in einem Training, damit sich eine neue Fertigkeit langfristig etabliert. Zudem wird ein Ausblick zu Veränderungen und Weiterentwicklungen gegeben.

Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität
Änderungen im Strafgesetzbuch (StGB)
Von Manfred Reuter
Nach Auffassung der Bundesregierung ist im Internet, insbesondere in den sog. sozialen Medien, in den letzten Jahren eine zunehmende Verrohung der Kommunikation feststellbar. Neben einem direkten Angriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen wird dadurch auch der für eine demokratisch und pluralistisch Gesellschaftsordnung existentielle offene und sachliche politische Diskurs in Frage gestellt. In der Folge sinkt dann allgemein die Hemmschwelle für weitere gleichgerichtete Äußerungen. Dies führt u. a. dazu, dass bestimmte Meinungen aus Sorge vor solchen Diffamierungen nicht mehr geäußert werden bzw. Personen sich vollständig aus dem öffentlichen Diskurs zurückzuziehen. Dieser Entwicklung müsse der Staat mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, auch denen des Strafrechts, entgegentreten. Im Folgenden wird das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vorgestellt, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist.

Legalprognose im Rahmen des § 56 StGB bzw. § 21 JGG
Zuhilfenahme statistischer Prognoseinstrumente – zugleich eine Kritik an der bisherigen Forschung
Von Timm Schnorr
In Deutschland wird eine Vielzahl der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Voraussetzung dafür ist unter anderem eine positive Legalprognose. In der Praxis ist diese von Richtern gestellte Prognose jedoch oftmals unzutreffend. In diesem Beitrag wird untersucht, ob statistische Prognoseinstrumente Abhilfe schaffen können. Dabei wird zunächst ihre Funktionsweise dargestellt. Anschließend wird herausgearbeitet, dass ihr Einsatz unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich zulässig ist, die Untersuchungen über die Zuverlässigkeit jedoch durchweg mangelhaft sind und daher von einem Einsatz statistischer Prognoseinstrumente abgesehen werden sollte. Abschließend werden Anforderungen an zukünftige Studien aufgestellt.

Forensische Molekularbiologie im Jahr 2020
Von Katja Anslinger, Birgit Bayer und Marta Diepenbroek
Mit der am 13.12.2019 in Kraft getretenen Änderung des § 81 e der StPO ergeben sich für die Strafverfolgungsbehörden völlig neue Möglichkeiten. Erstmalig dürfen auf Grundlage molekulargenetischer Untersuchungen Vorhersagen über äußerlich sichtbare Merkmale (konkret Augen-, Haar- und Hautfarbe) sowie das biologische Alter eines Spurenverursachers erhoben werden. Im Freistaat Bayern ergibt sich darüber hinaus noch die Situation, dass gemäß Polizeiaufgabengesetz, in speziellen Situationen auch Untersuchungen zur biogeographischen Herkunft eines Spurenverursachers angefordert werden können. Um potenzielle Fehlerquellen auszuschließen und die größtmögliche Vorhersagegenauigkeit zu erzielen ist es erstrebenswert diese Analysen an 1-Personen-Spuren und nicht an Mischspuren durchzuführen. Erfahrungsgemäß schränkt dies die Anzahl der in Frage kommenden forensischen Spuren ein. Zur Auftrennung von Mischungen in ihre einzelnen Bestandteile hat sich in den letzten Jahren unter anderem die Technik der Einzelpartikeluntersuchungen bewährt. Der erfolgreiche Einsatz dieser Technik zur Gewinnung einer, für eine Phänotypisierung bzw. Bestimmung der biogeographischen Herkunft geeigneten, Reinspur wird an einem konkreten Fallbeispiel demonstriert.

Die Behandlung von Verwahrstücken in Ungarn
Von Csongor Herke, Gábor Kovács und Gergely Gárdonyi
In Ungarn wird die Behandlung von Verwahrstücken durch ein Ministerialdekret von 2003 geregelt. Selbst als diese Verordnung erlassen wurde, folgte sie nicht den technischen Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten. Der Gesetzgeber hat auf Methoden bestanden, die lange Zeit als veraltet galten. In der Praxis treten im Zusammenhang mit der Erfassung, Handhabung und Übermittlung von Verwahrstücken unzählige Probleme auf. Es wäre naiv anzunehmen, dass diese allein durch eine korrekte Gesetzgebung verhindert werden könnten, aber eine Praxis (selbst basierend auf Automatismen und Standards), die nach einer ordnungsgemäßen Kodifizierung entwickelt wurde, könnte sich erheblich verbessern. Dies erfordert die Schaffung eines völlig neuen digitalbasierten Systems. Die Autoren des Artikels sind an einem Projekt beteiligt, das genau darauf abzielt. Die Studie verwendete die Ergebnisse der Forschung mit dem Titel „Zentrum für Hochschulbildung und industrielle Zusammenarbeit an der Universität Széchenyi István – GINOP-2.3.4-15-2016-00003 Projekt, Kriminalistik Teilprojekt“.

Stringente Beweisführung und begründete Zweifel versus Schein‑Beweise
Von Henriette Haas
Die klassische Beweiswürdigung des Lebenssachverhalts wird in diesem Aufsatz neueren akademischen Entwicklungen gegenübergestellt. Er dient der Auseinandersetzung mit tauglichen und untauglichen Interpretationsmethoden. Nicht alles was an Universitäten entwickelt wird, besteht anschliessend die lebenspraktische Prüfung vor Gericht. Wie deckt man Pseudo-Beweise in rein appellatorischen Rechtsschriften oder unsachgemässen Gutachten auf?




  


 

 

 

Kriminalistik Campus

 

Redaktion:
Matthias Lapp, Leitender Kriminaldirektor im Hochschuldienst, Michael Rauschenbach, Kriminaldirektor im Hochschuldienst, Fachgebiet Kriminalistik – Allgemeine Kriminalstrategie, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster


Die in der aktuellen Ausgabe veröffentlichten Hausarbeiten wurden als Prüfungsleistung des Moduls „Kriminalität – Phänomen, Intervention und Prävention“ im Rahmen des Masterstudiengangs „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ an der Deutschen Hochschule der Polizei im Frühjahr 2020 gefertigt.
Mit der Hausarbeit „Der Einsatz von Online-Streifen zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet“ greift Dirk Tröger ein hochaktuelles Thema auf. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke oder die Attentate im Umfeld der Synagoge in Halle machen deutlich, dass die zunehmende Verrohung der Kommunikation im Internet und in sozialen Medien den Nährboden für extremistische Anschläge bilden kann. Bedrohungen und Einschüchterungen führen zudem zur Einschränkung der Meinungsfreiheit und können den Rückzug von politischem oder sozialem Engagement bewirken. Dirk Tröger untersucht in seiner Hausarbeit die Frage, wie eine zukunftsgerichtete Online-Streife gestaltet werden kann, um einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Hasskriminalität zu leisten. Er fokussiert dabei auf die rechtlichen und taktischen Aspekte und zeigt auf, wie das Instrument der Online-Streife sinnvoll in die aktuelle „Drei-Ebenen-Strategie“ des Bundeskriminalamtes eingebettet werden kann. Auch geht er auf die im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität neu im Netzwerkdurchsetzungsgesetz verankerten Meldepflichten für Betreiber sozialer Netzwerke ein. Damit leistet er einen wertvollen Beitrag für die aktuellen kriminalstrategischen und kriminalistischen Erwägungen.
Anett Zimmer wendet sich in ihrer Hausarbeit „Der Beweiswert des kriminalistischen Einsatzes polizeilicher Mantrailer im Strafverfahren“ einem Teilaspekt des polizeilichen Diensthundwesens zu. Hunde werden bereits seit über einhundert Jahren zur Identifizierung von Personen und zur Fahndung eingesetzt. Obwohl die konkreten Vorgänge des Riechens und der Differenzierung von Gerüchen durch Hunde bis heute noch nicht vollständig wissenschaftlich aufgeklärt sind, haben sich Geruchsdifferzierungshunde und Mantrailer als ein erfolgreiches Hilfsmittel bei der Untersuchung von Straftaten sowie der Suche nach Personen erwiesen. Der Beweiswert eines konkreten Hundeeinsatzes hängt jedoch letztlich von der individuellen Würdigung des erkennenden Gerichts ab. Genau hier setzt die Arbeit von Anett Zimmer an: Sie hat verfügbare Urteile daraufhin untersucht, welche Relevanz das Ergebnis des Einsatzes dieser Hunde für die Entscheidungsfindung des Gerichtes hatte. Damit betrat sie Neuland, denn bislang fehlte eine solche Untersuchung für Deutschland. Darüber hinaus konnte sie bestehende Standards verstärken, Fehlerquellen aufzeigen und künftigen Forschungsbedarf ableiten.

Einsatz von Online-Streifen zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet
Von Dirk Tröger, Deutsche Hochschule der Polizei, Master of Public Administration – Police Management, Master 2018–2020

Der Beweiswert des kriminalistischen Einsatzes polizeilicher Mantrailer im Strafverfahren
Von Anett Zimmer, Polizeirätin, Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung und für die Bereitschaftspolizei Schleswig-Holstein (PD AFB), Eutin



 

  


 

 

 

 

Recht aktuell

 

Versuchter Diebstahl bei Vorliegen von gewahrsamssichernden Schutzmechanismen
Für das unmittelbare Ansetzen zur geplanten Wegnahmehandlung i. S. d. § 242 StGB ist es nicht notwendig, dass der angegriffene Schutzmechanismus auch mit Erfolg überwunden wurde. Es ist hierfür ausreichend, dass der Täter das Einbruchswerkzeug bereits angesetzt hat, um den Schutzmechanismus zu überwinden.

BGH, Beschl. v. 28.4.2020 5 StR 15/20


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