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Rückkehr der Unvernunft

Editorial der Ausgabe November 2020

Verehrte Leserinnen und Leser,

 

der Schrecken von Covid-19 ist zurück. Früher und intensiver als erwartet steigen die Zahlen, die einer vorsichtigen Annäherung an die Alltagsnormalität ein jähes Ende bereiten. Während im Lockdown ein vorbildlicher Zusammenhalt in unserer Gesellschaft entscheidend zur Eindämmung der Infektionen und seiner Auswirkungen beigetragen hat, ist mit Herbstbeginn die Unvernunft zurückgekehrt. Leichtsinn, naive oder hemmungslose Selbstverwirklichung und eine beliebige Interpretation von Freiheitsrechten sind neben anderen Faktoren mitursächlich für eine neue Dimension gesundheitlicher und wirtschaftlicher Folgen, die auf uns zukommen. Umso schmerzlicher wird uns die bröckelnde Solidarität vor die Füße fallen.


Nach Einschätzung von Generalbundesanwalt Peter Frank belegen die jüngsten islamistischen Morde in Frankreich, aber auch Festnahmen in Deutschland, dass Westeuropa weiterhin im Fadenkreuz radikaler Islamisten ist. In einem Interview in der Welt am Sonntag vom 1.11. äußert er sich auch besorgt über die aktuelle Lage in allen anderen extremistischen Bereichen. In einer dreiteiligen Aufsatzfolge beleuchtet Dr. Christian Hermann türkischen Extremismus in Deutschland, in dieser Ausgabe die „Rückfront“ Bundesrepublik. Dr. Manfred Reuter befasst sich mit komplexen Änderungen im Strafgesetzbuch zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Das Gesetz liegt noch immer zur Ausfertigung auf dem Schreibtisch des Bundespräsidenten, nachdem neue Entscheidungen dessen Verfassungsmäßigkeit in Frage stellen könnten. Den Einsatz von Online-Streifen zur Bekämpfung der Hasskriminalität prüft Dirk Tröger.


Im Verfahren zum Berliner „Tiergartenmord“ geht die Generalbundesanwaltschaft nach wie vor davon aus, dass „Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation dem Angeklagten den Tötungsauftrag erteilt haben“. Staatsterrorismus im intransparenten Geheimdienstmilieu ist ein weltweites Phänomen, das immer dann in das öffentliche Bewusstsein rückt, wenn Prominente wie zuletzt Alexander Navalny zu Opfern werden. Sein Überleben hat er wahrscheinlich auch seiner Behandlung in Deutschland zu verdanken. Dr. Ulrich Eisenberg fasst die Ereignisse um den Anschlag vom 20.8. zusammen.


Mit den Schwierigkeiten bei der Aufklärung eines Altfalles aus dem Jahr 1984 beschäftigt sich Dr. Annette Marquardt. Sie zieht insbesondere wichtige Lehren für die Bearbeitung von „Cold Cases“ und weist auf eine Gesetzeslücke hin: Frühere Aussagen von Zeugen, die sich nach langer Zeit nicht mehr erinnern können, dürfen nicht verlesen werden, wohl aber die von Verstorbenen. An der Fachhochschule Güstrow wird im Rahmen des Bachelorstudiums zum Abschluss ein dreitägiges Vernehmertraining und eine teilrealistische Kindervernehmung durchgeführt. Dr. Catrin Chevalier, Uwe Rüffer und Christian Brand stellen die Ergebnisse einer inhaltlichen und strukturellen Evaluierung des Trainings vor. Mit der Änderung des § 81e StPO ergeben sich für Strafverfolgungsbehörden Möglichkeiten zur Phänotypisierung und Genealogie. Dr. Katja Anslinger, Birgit Bayer und Dr. Marta Diepenbroek geben an einem konkreten Fallbeispiel einen Überblick über den aktuellen Stand der Forensischen Molekularbiologie.

 

Bleiben Sie vor allem gesund in den schweren Zeiten, die vor uns liegen!

Ihr
Bernd Fuchs
Chefredakteur


Verlag C.F. Müller

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